Cthulhu-Geistergeschichten
blindlings durch den nahezu lichtlosen, gerümpelübersäten Raum, der ihn umgab.
Er wußte sofort, wo er sich befand, und stürzte die Wendeltreppe hinunter, was nicht ohne Prellungen und blaue Flecken abging. Es war keine Flucht mehr, eher ein Alptraum. Hastig durchquerte er das weite, spinnenverwobene Kirchenschiff, dessen gotische Bogen bis in die hämisch lauernden Schatten einer unsäglichen Stille wuchsen, eine augenlose Kühle umfing ihn, in dem unflatverwucherten Keller; er kletterte durch das Loch in die freie Luft, unter die schaukelnden Lichter der Straßen und Gassen, flüchtete aus dem Gewirr von vermodernden Häusern und Spitzgiebeln einer grimmigen, dunklen, schwarzgetürmten Stadt, rannte, keuchte, hetzte, bis er vor dem vertrauten Portal seines eigenen Hauses stand.
Als er am nächsten Morgen wieder das Bewußtsein erlangte, lag er völlig angekleidet vor seinem Schreibtisch. Schmutz und Spinnweben bedeckten seinen Anzug, und überall am Körper trug er blaue Flecke und schmerzende Stellen. Als sein Blick in einen Spiegel fiel, merkte er, daß sein Haar angesengt war. Seine Jacke trug noch immer die Spuren jenes grauenhaften Geruches. In diesem Augenblick erlitt er einen Nervenzusammenbruch. Von da an saß er völlig erschöpft, nur mit einem Morgenmantel bekleidet, am Westfenster seines Arbeitszimmers, zu nichts anderem mehr fähig, als nach dem unheimlichen Horizont zu starren, die Seiten seines Tagebuches mit aberwitzigen, phantastischen Sätzen vollzukritzeln und am ganzen Leibe zu beben, wenn nur die leiseste Ahnung eines Gewitters in der Luft lag. Der große Sturm brach am 8. August kurz vor Mitternacht los. Der Blitz schlug ununterbrochen in allen Teilen der Stadt ein, zwei besonders starke elektrische Entladungen wurden beobachtet. Ein ungeheurer Wolkenbruch setzte ein, während die ständige Kanonade des Donners Tausenden den Schlaf raubte. Blake war vor Sorge um die Straßenbeleuchtung fast wahnsinnig;
er versuchte gegen ein Uhr die Elektrizitätswerke anzurufen, obgleich zu diesem Zeitpunkt alle Telefonleitungen aus Sicherheitsgründen bereits stillgelegt worden waren. Er trug alles in sein Tagebuch ein - in großen, nervösen, teilweise unleserlichen Schriftzeichen, die seine ständig wachsende Furcht, seine Hoffnungslosigkeit ahnen lassen: Eintragungen, die er auch dann noch fortsetzte, als er bereits das Licht abgeschaltet hatte, um außerhalb des Fensters etwas sehen zu können - die Ansammlung entfernter Lichter auf Federal Hill. Ab und zu machte er Eintragungen, fragmentarische Sätze wie etwa: »Die Lichter dürfen nicht ausgehen«, »Es weiß genau, wo ich mich befinde«, »Ich muß es vernichten«, »Es ruft nach mir, aber vielleicht will es mich diesmal noch nicht fassen«...
Dann verlöschten sämtliche Lichter der Stadt. Nach Berichten des Elektrizitätswerkes geschah das um 2 Uhr 12, aber in Blakes Tagebuch befindet sich keine genaue Zeitangabe. Die Eintragung lautet nur: »Lichter aus -Gott steh mir bei!«
Auf Federal Hill gab es Beobachter, die gleich ihm von einem namenlosen Grauen befallen waren - regendurchnäßte Menschen versammelten sich in den Straßen und Plätzen um die verfluchte Kirche, wobei sie unter Regenschirmen Kerzen, Taschenlampen und öllaternen mitbrachten, Kruzifixe und obskure Amulette vor sich hinhielten, wie das unter Süditalienern üblich ist. Sie bekreuzigten sich bei jedem Blitzstrahl und machten kryptische Zeichen, um ihrer maßlosen Furcht zu begegnen; es wurde laut gebetet, daß der Sturm mit seinen Blitzen abnehmen möge. Ein besonders heftiger Windstoß blies die Überzahl der mitgebrachten Wachs- und Öllichter aus, so daß ein bedrohliches Dunkel entstand. Jemand hatte Pater Merluzzo aus dem Bett geholt, der nun aus der Kirche Spirito Santo herbeigeeilt kam, um vor der Menge, die sich, vom Regen völlig durchweicht, in panischer Angst wand, helfensollende Segnungen zu stammeln, deren Silben jedoch der wütend fegende Sturm fast zur Gänze verschluckte. Unterdessen konnte es keinen Zweifel mehr daran geben, daß sich irgend etwas, im nachtschwarzen Inneren des Turmes, rastlos hin und herbewegte.
Über die um 2 Uhr 30 eingetretenen Ereignisse liegen uns die Augenzeugenberichte aller Beteiligten vor - des Pfarrers, eines jungen, intelligenten, gebildeten Mannes; des Polizisten William J. Monohan, eines zuverlässigen Beamten vom Hauptrevier, der seinen Streifengang unterbrochen hatte, um die Menge im Auge zu behalten; und die der 87
Weitere Kostenlose Bücher