Cubuyata - Die Rückkehr des Propheten (Science Fiction Thriller) (German Edition)
vorgestellt. Etwas älter, talentierter, ehrgeiziger und fleißiger. Bislang beschied sie ihm lediglich Intelligenz. Sie hatte die letzten Jahre mehr gearbeitet als jeder andere in der Redaktion und ihre kleine Tochter vernachlässigt. Beziehungen waren gescheitert, bevor sie richtig begonnen hatten. Sie hatte jede Story übernommen, über die niemand sonst schreiben wollte. Den dreimonatigen Streik der Müllabfuhr vor zwei Jahren, Berichte von den kleinsten Stadtbezirkssitzungen und Masernepidemien in Kindergärten. Sie war sich für nichts zu schade, hatte sich Ausgabe für Ausgabe der Metropolitan nach vorne gearbeitet. Die Varlas-Geschichte sollte ihre erste Titelstory werden. Dass sie jetzt als Assistentin für einen anderen Journalisten arbeiten musste, daran konnte und wollte sie sich nicht gewöhnen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit setzte choraler Gesang von der Bühne im Rücken der Menschenmengen ein. Jinglei ließ ihren Blick über die hunderttausenden Anwesenden wandern. Noch nie hatte sie eine derartige Ansammlung von Menschen gesehen. Selbst beim rothulanischen Jahresfest waren noch nie so viele Anhänger und Interessierte auf den Messplatz gekommen, um offiziell dem Großmeister zu lauschen und in Wahrheit Frisches aus dem Wok und Sojabier der Staatsbrauerei zu genießen. Gerade als sie sich zurückerinnerte, kamen zwei Händler mit ihren Wagen zur Pressetribüne. Der eine verkaufte deftige chinesische Spieße mit synthetischem Huhn und Gemüse, der andere bot gebackene Bananen und frisches Obst feil.
"Wie ist das mit rohem Essen hier? Macht mein verweichlichter Erdmagen das mit?"
"Sie verwechseln Cubuyata mit der großchinesischen Provinz. Unsere Hygienestandards liegen deutlich oberhalb Amerikas", sagte Jinglei. Sie vermutete, dass das nicht stimmt, musste Harmon aber früh in seine Schranken verweisen. Er nickte, bevorzugte dennoch eine gebackene Banane.
Harmon schloss ein kleines Zusatzgerät an sein PD. "Die neueste Aufnahmetechnik", versicherte er ihr und sagte, dass er von nun an Videos in hochauflösendem 3D aufzeichne. Sowie weitere technische Details, die für sie nicht von Interesse waren und sie kaum glauben konnte, dass er vom Gegenteil überzeugt war.
Es dauerte noch knapp eine halbe Stunde, bis ihr Warten ein Ende nahm. Am anderen Ende der Bühne erschien Feng der Dritte in einer festlichen dunkelroten Robe. Er trug einen spitzen, ebenfalls dunkelroten Hut von etwa einem Meter Höhe, in seiner linken Hand einen goldenen Stab, in der rechten das Buch von Rothul. Der Hut sollte ihn wohl schlanker erscheinen lassen, aber Feng sah noch voluminöser aus als auf den Wahlplakaten. Seine helle Haut dunkelte er ins bräunliche ab, zumindest nach Aussagen seiner öffentlichkeitsliebenden Ex-Sekretärin. Er versuchte auf diesem Weg chinesischer auszusehen, was auf Cubuyata ein Zeichen für den Wohlstand der Elite war.
Die Menge tobte. Vereinzelt vernahm Jinglei auch Pfiffe und Trillerpfeifen, die sicherlich von Rebellensympathisanten und Rothulkritikern im Allgemeinen außerhalb des Platzes stammten. Meist tauchten sie bei solchen Veranstaltungen auf, störten und verschwanden wieder, um nur wenige Minuten später an anderer Stelle zu erscheinen. Selbst sie fürchteten die offene Konfrontation mit der stets in Hundertschaften aufmarschierenden Polizei und dem potentiellen Einsatz der Rothulanischen Geheimpolizei. Jener verdeckten operativen Macht, über die die Regierung ihre Macht auch in den letzten Winkeln festigte.
Seit dem ersten Aufbegehren der jayun vor drei Jahren hatte die rothulanische Regierung dem gesamten offiziellen Polizeiapparat beständig weitere Privilegien und ein höheres Budget zugewiesen. Bei einer Großveranstaltung wie heute mit nach Polizeiangaben einer Viertelmillion Teilnehmern waren nach Jingleis Recherchen mehr als zwanzigtausend Polizisten anwesend. Gekleidet in ihrer schwarzen Uniform mit festem Brustpanzer und einem insgesamt militaristischen Aussehen standen sie über den kompletten Platz verteilt, gehäuft an den Abgrenzungen nach außen. Für Jinglei passte das ins Bild, trotz der ansonsten oberflächlich friedlich-religiösen Veranstaltung. Sie hatte die Kirche noch nie als etwas Heilbringendes empfunden, seit dem Tod ihrer Mutter hatte sich dies noch verstärkt.
Die Musik verklang und Feng ergriff das Wort.
"Verehrte Gemeinde, Liebe Gläubige. Heute ist ein Freudentag für uns alle. Unser aller sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Viele
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