Cugel der Schlaue
glitzerte.
Mit größter Vorsicht setzte Cugel den Hut auf. Er beugte sich über den Bettrand und sah auf der Straße einen kleinen zweirädrigen Karren, geschoben von einem zwölf-oder dreizehnjährigen fetten Jungen.
Cugel warf das Seil hinunter, damit es sich um einen Baumstumpf wickle, und zog sich daran hinunter. Als der Junge mit dem Karren vorbeikam, sprang Cugel auf die Straße.
»Hände hoch!« rief er. »Was haben wir denn da?«
Erschrocken zuckte der Junge zusammen und riß gehorsam die Hände hoch. »Ein neues Rad für unseren Wagen und Frühstück für meine Brüder: einen Tiegel voll Eintopf, einen Laib Brot und einen Krug Wein. Wenn Ihr ein Räuber seid, ist hier nichts für Euch zu holen.«
»Das beurteile ich selbst«, sagte Cugel. Er trat das Rad, daß es gewichtlos wurde und sich himmelwärts drehte. Offenen Mundes schaute das Bürschlein ihm nach. Danach nahm Cugel Eintopf, Brot und Wein vom Karren. »Du darfst weitergehen«, erlaubte er dem Jungen. »Wenn deine Brüder sich nach dem Rad und dem Frühstück erkundigen, kannst du den Namen Cugel erwähnen und die Summe von fünf Terces.«
Den Karren schiebend, rannte der Junge verängstigt los. Cugel brachte Eintopf, Brot und Wein zu seinem Bett, löste das Seil und schwebte damit hoch in die Lüfte.
Auf der Straße stürmten die Bauern herbei, gefolgt von dem Jungen. Sie blieben stehen und brüllten: »Cugel! Wo seid Ihr? Wir möchten mit Euch reden!« Und einer fügte gerissen hinzu: »Wir wollen Euch Eure fünf Terces zurückgeben!«
Cugel würdigte sie keiner Antwort. Der Junge, der den Himmel nach dem Rad absuchte, entdeckte das Bett und deutete. Seine drei Brüder, knallrot vor Wut, drohten mit den Fäusten und brüllten Verwünschungen.
Cugel hörte ihnen belustigt eine Weile zu, bis eine frische Brise ihn auf die Berge und Port Perdusz zutrieb.
4 .
Von Port Perdusz nach Kaspara Vitatu s
Im Hafen
Ein günstiger Wind trug Cugel in seinem Bett in aller Bequemlichkeit über die Berge. Als er über den letz ten Kamm trieb, erstreckte sich das Land unter ihm zu weiten Horizonten, und von Ost nach West breitete sich die Mündung des Chaings wie flüssiges Metall aus.
Westwärts, am Ufer entlang, sah Cugel alte graue Häuser: Port Perdusz. Fünf oder sechs Schiffe lagen im Hafen, aber aus dieser Entfernung vermochte er eines nicht vom anderen zu unterscheiden.
Cugel ließ das Bett absinken, indem er Schwert und Stiefel über eine Seite hängte, daß sie von der Schwerkraft erfaßt wurden. Durch launenhafte Windstöße fiel das Bett in Richtungen, die Cugel nicht beabsichtigt hatte, und landete schließlich in einem Dickicht aus Tulsiferröhricht, kaum ein Dutzend Fuß landeinwärts vom Fluß.
Sein Bett nur ungern aufgebend, bahnte Cugel sich einen Weg zur Flußstraße durch sumpfige Wiesen mit einem Dutzend verschiedener Arten mehr oder minder unangenehmer Pflanzen: rötliche und schwarze Kletterstauden, Blasenbüsche, braun blühende Hurse, mimosenhafte Ranken, die voll Abscheu zurückwichen, wenn Cugel näherkam. Kleine Blauechsen zischten Cugel erbost an, und er, der ohnehin durch nähere Bekanntschaft mit einem Blasenbusch nicht gerade bester Laune war, beschimpfte sie: »Zischt nur, abscheuliches Gewürm! Von so minderwertigen Scheusalen ist ja nichts Besseres zu erwarten!«
Die Blauechsen, die seinem Ton die Beleidigung entnahmen, schnellten zischend und spuckend auf ihn zu, bis er einen abgestorbenen Ast aufhob und sie sich vom Leib hielt, indem er damit auf den Boden rings um sich schlug.
Endlich erreicht Cugel die Straße. Er bürstete die Kleidung ab, schlug den Hut säubernd gegen das Bein, achtete aber darauf, nicht mit Sprühlicht in Berührung zu kommen. Dann rückte er das Schwert so auffällig wie möglich am Gürtel zurecht und setzte sich Richtung Port Perdusz in Marsch.
Es war nun Mittnachmittag. Hohe Zedern säumten die Straßen, und Cugel schritt abwechselnd durch tiefe Schatten und rotes Sonnenlicht. An den Hängen bemerkte er dann und wann einsame Hütten und am Flußufer verrottende Kähne. Die Straße führte an einem von Zypressen beschatteten Friedhof vorbei und bog danach zum Ufer ab, um einem Hügel zu entgehen, auf dem eine Burgruine zu erkennen war.
Als sie die Stadt erreichte, schwang die Straße um die hintere Seite des Hauptplatzes herum und an der Vorderseite eines großen halbrunden Gebäudes vorbei, das früher einmal ein Theater oder eine Konzert-halle gewesen sein mußte, doch nun als
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