Culpa Mosel
gegen das Glas und rief: »Annika, wir müssen nach Hause, die Mama wartet mit dem Essen auf uns.« Er hoffte, dass die Anspannung in seiner Stimme ihn nicht verriet.
»Ja, gleich. Ich bekomme noch eine Pflanze, Papa, die musst du dir angucken, und Andrea kriegt auch eine.«
Walde atmete tief ein und betrat das Gewächshaus. Tausend Gedanken schossen ihm gleichzeitig durch den Kopf. Jetzt bloß nicht stolpern und womöglich bei einem Sturz die Waffe verlieren. Welche Waffen hatte der Täter? Ein Messer genügte bereits für eine Geiselnahme. Er musste ruhig bleiben, durfte keine hektischen Bewegungen machen und keinerlei Bedrohung ausstrahlen.
Robert Köhler war auf die andere Seite hinter Edelberga und Andrea getreten. Annika stand auf einem Schemel zwischen den beiden Frauen.
»Guten Tag.« Walde nickte den Anwesenden zu. »Hier steckst du! Ich habe dich schon gesucht.«
Einzelne Regentropfen platschten auf das Glasdach.
»Guck mal, die bekomme ich.« Annika zeigte auf die Arbeitsplatte, auf der Edelberga mit zittriger Hand Basilikum eintopfte. »Und Andrea kriegt die.«
Zitterte Edelberga, weil sie ihn erkannt hatte, oder war es eine Begleiterscheinung ihres Alters? Robert konnte es nicht einschätzen. Sie sah aus wie die Schildkröte auf der Zeichnung aus Brehms Tierleben. Ihr Hals war genauso faltig gewesen wie der des alten Drachens, der den Kindern von der Hölle erzählte und ihnen diese im Heim bereitet hatte.
So ganz passte das Bild nicht zu dieser alten Frau, die freundlich mit dem Kind und dessen Mutter sprach und ihnen sogar Pflanzen schenkte. Im Heim durfte kein Kind persönlichen Besitz haben, nicht einmal das kleinste Spielzeug. Alles hatte allen gehört, nichts dem Einzelnen.
Er musste warten, bis die beiden gegangen waren. Dann würde er seinen Rucksack holen und die Sache zu Ende bringen. Edelbergas Stock war ihm nicht entgangen. Er war so aufgewühlt, dass er beinahe alle Vorsicht vergessen hatte.
Der Mann in der Tür, der nach seinem Kind rief, ließ ihn zusammenzucken. Er brauchte eine Weile, bis er realisierte, dass auf diese Weise die Chance stieg, bald mit Edelberga allein zu sein. Doch dann blieb das Kind hartnäckig und der Mann kam herein. Es war der Bulle, den er aus der Zeitung kannte.
Edelberga reichte Annika den Topf. »Und vergiss nicht, sie zu gießen, wenn es länger nicht geregnet hat.«
»Was ist länger?«
»Ein paar Tage, höchstens soviel, wie du Finger an einer Hand hast«, antwortete die Nonne und spreizte dabei ihre Hand mit den gekrümmten, rissigen Fingern. »So, jetzt wird es Zeit für dich, nach Hause zu gehen.«
»Das sind fünf.« Annika rieb sich die Erde von den Händen.
Walde schaute Andrea an. »Ich komme gleich nach, geht ihr schon mal vor.«
Sie schien zu spüren, dass etwas vorging. Er hatte schon befürchtet, sie würde etwas zur Festnahme des vermeintlichen Täters sagen. Während Andrea mit der plappernden Annika das Treibhaus verließ, war plötzlich nur das leise Trommeln des zunehmenden Regens zu hören. Das Knattern eines Hubschraubers schallte herein. In der Nähe von zwei Krankenhäusern war das um diese Tageszeit nichts Besonderes. Dennoch befürchtete Walde, es könnte den Mann irritieren. Der wirkte, als wäre er in der Lage, jederzeit loszuschlagen.
Walde bemerkte das kleine Messer, das zwischen den Werkzeugen auf dem Bord vor Edelberga lag. Sobald Walde seine Waffe ziehen würde, gefährdete er das Leben der alten Nonne.
Er hatte den Blick des Polizisten auf das Messer bemerkt. Sein eigenes trug er griffbereit am Gürtel.
»Herr Köhler, ich denke, wir sollten reden.«
Woher kannte der Polizist seinen Namen? Seit der Schulzeit hatte ihn der Klang seines Namens nicht mehr mit solcher Wucht getroffen.
»Herr Köhler«, fuhr der Polizist fort, »Schwester Edelberga, können Sie uns bitte allein lassen?«
Das könnte dem Bullen so passen!
»Edelberga bleibt hier!« Robert hatte seine Sprache wiedergefunden. Nur eine Bewegung und die Nonne hatte sein Messer an der Kehle.
Eine falsche Bewegung und die Situation würde eskalieren. Walde traute sich nicht einmal, seine Worte mit einer Geste zu begleiten. Seinem Gegenüber war sicher bewusst, dass es kaum mehr ein Entkommen gab. Ein Platzregen machte die Scheiben undurchsichtig.
»Es geht um Peter.« Walde hielt die Luft an.
»Peter?«
»Er ist vom Dach gestürzt und hat sich schwer verletzt!«
»Nein.« Der Mann ließ die Arme sinken.
Blitzschnell fasste Walde
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