Cut
reiben kann. Na, du bringst aber auch Sprüche wie eine verwöhnte europäische Zicke. Dabei ist es gar nicht der Geruch, der dein Unwohlsein verursacht. Auch nicht die bettelnden Kinder.
»Ich weiß auch nicht«, du guckst dich um und suchst nach den richtigen Worten. »Die tun hier so, als wären sie in einem adidas-Spot, während sie durch anderer Leute Wohnzimmer laufen.« Du zeigst auf einen Jogger mit Walkman, der ungerührt über die Plane mit dem Hausrat der Familie hinwegsetzt, ohne seinen Laufrhythmus zu unterbrechen. Verstehen sie, was du meinst? »Ich könnte so nicht leben«, schließt du mit einem Schulterzucken.
»Musst du ja auch nicht.« Für den Bruchteil einer Sekunde bleibt Cal ernst, dann dreht er den Kopf zur Seite und zwinkert Nick zu.
Der steigt natürlich darauf ein. »Aber, Mattie, deine Gene, sprechen sie nicht zu dir?«
Du ignorierst sein Gefrotzel, denn Cals Bemerkung hat dich an Emma erinnert. Emma, die sich immer zu Anand in sein Märchenland geträumt hat. Was hat er ihr wohl über Bombay erzählt?
»Ich stell mir vor, meine Mutter mit ihren Kitschfilmen wäre tatsächlich hier gelandet«, sagst du mehr zu dir selbst als zu den beiden Männern. Unvermittelt fällt dir wieder ein, warum du hier bist. Du jedenfalls, bei Nick bist du dir nicht mehr so sicher.
Du fragst Cal nach der Pedder Road. Er zuckt die Achseln. »Irgendwo downtown, du fragst einen unwissenden bengalischen Einwanderer. Ich glaube, die ist vor gar nicht so langer Zeit umbenannt worden. Wir waren so stolz darauf, britischer zu sein als die Briten. Aber jetzt regieren die Hindus von der BJP und die sind indischer als die Inder. Und in den Köpfen sitzt trotzdem das–«
»Koloniale Erbe«, ergänzen du und Nick gleichzeitig wie zwei übereifrige Schüler.
»Ihr lernt schnell!« Cal lacht. »Du kannst froh sein, wenn du morgens aufwachst und deine Straße hat noch den gleichen Namen wie gestern. Ich glaube, für viele Leute existiert Bombay heute nur noch im Kino. Die Stadt ist zu ihrem eigenen Mythos geworden. Vergesst die Realität. Yeh hai Bombay meri jaan!« Er springt auf und winkt eine Riksha heran.
Ein Hubschrauber wäre dir lieber.
53 Fünfter Song
Auftakt. Man sieht das abendlich beleuchtete Nehru Center. Neben der Kuppel des Planetariums erhebt sich das futuristische Discovery of India- Gebäude . Menschen drängen in verschiedene Richtungen. Im Auditorium eine Sondervorführung des Internationalen Filmfestivals.
Cut. Wumm. Die Leinwand öffnet sich, an den Seiten explodieren bunte Feuerwerkskörper. Das Publikum jubelt. Der Song Ae Dil Hai Mushkil Jeena Yahan aus dem Klassiker CID. von Guru Dutt braust in Dolby Surround durch den Saal.
Cut. Matties Gesicht nah.
Cut. Nicks Gesicht nah.
Cut. Cals Gesicht nah.
Cut. Drei Hände greifen gleichzeitig in einen Becher mit Popcorn.
Gut. Totale des Kinosaales, vom Eingang aus. Die Kamera fährt langsam zurück bis hinter die Tür, dann weiter, den Flur entlang. Ein leiseres Intermezzo in der Musik, ohne Gesang.
Totale vom Eingang aus auf einen kleineren Veranstaltungsraum, Im Publikum sitzen lauter Männer, dazwischen wenige Frauen im festlichen Sari. Ein Mann mit weißen Haaren in einer bestickten Kurta tritt ans Mikrofon. Break in der Musik.
»Ich möchte Ihnen heute Abend auf der Jahrestagung indischer Historiker nicht nur einen Freund vorstellen, sondern einen weit gereisten Veteranen der indischen Legion. Ludwig Hauser!« Donnernder Applaus.
Umschnitt. Der Song geht weiter. Bildfüllend in Schwarzweiß die berühmte Szene aus C.I.D. : Masters, der Taschendieb, springt auf die Kutsche seiner Liebsten und singt das Lied auf seine Stadt.
Oh du sanftmütiges Herz,
das Leben ist ein Kampf, der immer bergaufführt!
Sei wachsam. Sei clever.
Dies ist Bombay!
Umschnitt. Intermezzo. Solo für Mundharmonika. Im Tagungssaal steht Ludwig ein wenig schwankend am Mikrofon und spricht. Er hat sichtliche Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Break in der Musik.
»Die indischen Kameraden, nun ja, sagen wir mal, einige von ihnen hatten doch erhebliche Schwierigkeiten mit der deutschen Disziplin. Nicht alle, wohlgemerkt. Es gab welche, die waren fast wie unsere deutschen Soldaten.«
Cut. Die Musik setzt wieder ein. Unruhe entsteht unter Ludwigs Zuhörern. Etliche sind empört aufgesprungen.
Cut. Diskutierende Münder nah.
Cut. Arme, die zur Wortmeldung emporschießen.
Umschnitt. Die Kutsche fährt am Marine Drive entlang. Die Freundin des Taschendiebes
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