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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
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den Wunsch, seine Entscheidungen von jemand anderem treffen zu lassen.
    Vielleicht sollte er umkehren und Charlotte endlich nachgeben, damit sie ihn zu einem Arzt brachte. Aber sie hatte so friedlich geschlafen, als er wegging. Er durfte sie nicht wecken. Schlaf war etwas sehr, sehr Wertvolles.
    Vor ihm tauchte das Flughafengebäude auf. Hamburg-Fuhlsbüttel. Er bog in den Parkplatz für Fluggäste ein und stieg aus seinem dunkelgrünen Passat Kombi. Dann nahm er eine Tasche aus dem Kofferraum und prüfte nach, ob der Wagen ordnungsgemäß verschlossen war.

50 Marsmenschen
    Nick saß zwischen Mattie und Cal im Taxi und fühlte, wie sein schweißnasser Rücken unter dem hochgerutschten T-Shirt am Kunstleder festklebte. Vorne auf dem Beifahrersitz türmte sich ihr Gepäck.
    Mattie guckte demonstrativ aus dem Fenster. Ausnahmsweise konnte er ihre schlechte Laune diesmal verstehen. Nach Cals Auftritt hatte der Manager sie gebeten, umgehend das Hotel zu verlassen. Auch Cal sagte nichts, aber er spürte seinen Blick. Er hatte gehofft, bei ihrem Wiedersehen würde sich die seltsame Unruhe, die ihn seit London verfolgte, endlich in Luft auflösen. Stattdessen war die Begrüßung den Umständen entsprechend ziemlich steif ausgefallen.
    Nick versuchte es mit Humor. »Wahrscheinlich dachte der Typ, wir sind Europäer auf dem Drogentrip und du bist unser einheimischer Dealer.«
    »Sehr witzig. Und wenn wir nicht bald ein Hotel finden, das nicht voll ist, darin sind wir vor allem Europäer auf dem Obdachlosentrip.« Mattie versuchte an ihm vorbei Cal einen bösen Blick zuzuwerfen.
    Der hatte seine Sprache auch endlich wiedergefunden. »I tell you a story«, begann er wieder mal. »Ihr seid soeben Zeugen unseres kolonialen Erbes geworden. Lektion eins für Inder und solche, die es werden wollen«, jetzt warf er Mattie einen Blick zu. »Es gibt Inder, die sind britischer als die Briten vor hundert Jahren. Sie tragen Dinnerjackets. Sie spielen Golf und Polo. Und die Frauen benutzen spezielle Cremes, um ihre Haut heller zu machen.«
    Mattie beugte sich vor. »So ein Schwachsinn, das glaube ich nicht.«
    »Du wirst schon sehen«, Cal lachte. Dann schien er einen spontanen Entschluss zu fassen. »Wenn es euch nichts ausmacht, halbe Tage in Autorikshas und Vorortzügen rumzugondeln, könnt ihr bei mir wohnen.«
    »Nein danke, das ist nicht nötig!«, protestierte Mattie sofort.
    Nick stieß ihr seinen Ellenbogen in die Rippen, stärker, als er eigentlich wollte. »Komm schon, Mattie, klar wollen wir! Wenn du zwei Marsmenschen in deiner Wohnung erträgst, Cal.«
    »Ich bin kein Marsmensch!«, sagte Mattie.
    »Bist du doch«, antwortete Nick, »auch wenn du vielleicht nicht so aussiehst.«

51 Scherben
    Hinnarck klemmte hinter dem Steuer und drehte mit steifen Fingern am Autoradio herum. Er war stolz darauf, dass sowohl Auto als auch Radio seit über fünfundzwanzig Jahren funktionierten. Jeden Monat las er in der Oldtimerzeitschrift nach, wie viel der Käfer gerade wert war. Nur die Antenne ließ langsam ein bisschen nach. Als er endlich NDR 2 fand, klang es wie ein Kurzwellensender aus China.
    »So ’n Schiet.« Er stellte das Radio wieder aus.
    Emma hatte ihn hier abgestellt wie einen Chauffeur. »Ich kann das alleine!«, hatte sie verkündet und war mit unsicheren Schritten zu Charlottes Haustür gestapft, die wohl offen gewesen war, denn Emma war einfach reingegangen.
    Hinnarck guckte auf die Uhr. Jetzt war sie schon mindestens eine Viertelstunde da drin und er fror sich hier die Füße ab ohne Standheizung.
    Plötzlich meinte er Emma schluchzen zu hören. Mit einem Ohr war er immer in Alarmbereitschaft, falls sie irgendwo einen Anfall hatte. Schnell stieg er aus. Er hätte ihr nicht erlauben sollen mitzukommen. Wenn Charlotte im Spiel war, gab es immer nur Ärger.
    Die Tür stand weit offen. Er hatte sich nicht verhört.
    Hinnarck ging Emmas Stimme nach bis ins Wohnzimmer. Charlotte saß in ihrem Sessel. Sie rührte sich nicht, als ob sie tot wäre. Neben ihr kauerte Emma auf dem Teppich, in der Hand ein Foto mit einem zersplitterten Glasrahmen. Sie starrte auf das Foto und schien gar nicht zu merken, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und ihr Mund immerzu laut schluchzte.
    »Emma! Was ist hier los?« Hinnarck hatte für einen Moment vergessen, dass sie schon lange keinen zusammenhängenden Satz mehr von sich gegeben hatte, nicht einmal, wenn alles ganz normal war. Er wollte einfach nur eine Erklärung für das schreckliche

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