Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cut

Cut

Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kroeger
Vom Netzwerk:
Bild, das sich ihm bot.
    Wie in Trance sah Emma zu ihm auf. »Er war hier«, flüsterte sie, »aber mich wird er nicht kriegen.« Ihre Augen schienen sich an seinem Gesicht festzusaugen. Bevor er es verhindern konnte, griff sie mit der rechten Hand blitzschnell nach einer herumliegenden Glasscherbe. Sekunden später sah er den tiefen Schnitt unterhalb des linken Handgelenks.
    Nicht schon wieder, dachte Hinnarck. Er presste seine Hand auf ihren Arm und sah das Blut darunter hervorsickern.
    »Tut mir Leid, Hinnarck«, sagte Emma noch, bevor sie wegsackte.

52 Jogging
    Obwohl die Sonne gerade erst dunkelorange und riesig aufgebla sen vom Smog ins Meer gefallen ist, wirken die kantigen Felsen, die vor dir ins Wasser ragen, dunkel und kalt. Fröstelnd spürst du die Gänsehaut auf deinen Armen, ohne hinsehen zu müssen. Sie kommt dir falsch vor, diese halbe Stunde im Abendlicht, als hätten die monströse Stadt und ihre Bewohner kein Recht auf Glamour.
    Die Panik steckt dir noch in den Knochen. Auf dem Weg zu Cal seid ihr mit der Riksha im Feierabendverkehr stecken geblieben. Es war wie die reale Version einer düsteren Science-Fiction-Hölle im Smog. Eineinhalb Stunden Stillstand, eingekeilt in einer endlosen Herde von Autos, Motorrädern, Rikshas und Bussen. Völlig benebelt und mit ausgetrockneter Kehle hat dein Instinkt nach einem Fluchtweg gesucht. Beinahe hättest du dich auf die Straße gestürzt, nur um dem Lärm und der Enge zu entkommen.
    Cal muss deinen Muskelreflex gespürt haben, denn plötzlich drang seine Stimme an dein Ohr. »Vergiss es. Entspann dich. Es gibt keine Alternative.«
    Was findet Nick bloß an diesem arroganten Schnösel, der sich aufführt, als wäre er Indiens Antwort auf Robbie Williams?
    Du drehst dich nicht um, obwohl du weißt, dass die beiden jetzt hinter dir auf einer Bank sitzen und sich leise unterhalten. In einem kurzen Moment zwischen zwei Autos weht Nicks Lachen an dein Ohr. Du fühlst dich hintergangen und gedemütigt, ohne genau zu wissen, warum. Natürlich hat Nick Recht, bei eurer Suche muss euch jede Hilfe willkommen sein. Und Cal spielt den Retter in der Not, nimmt euch bei sich auf, obwohl er euch kaum kennt.
    Trotzdem, es ist, als hätte dir jemand die Fäden aus der Hand genommen und ein neues Strickmuster angefangen, mitten im Schal.
    Du nimmst die Kamera aus der Tasche und filmst die Skyline im Abendhimmel, wie um dem ganzen Aufwand pflichtbewusst Tribut zu zollen. Dann schwenkst du um 180 Grad auf die Carter Road. Das zittrige Sucherbild gleitet über einen Jogger, schneidet ihm den Kopf ab und bleibt auf einem kleinen zerrupften Kind hängen, das dir bettelnd seine Hand entgegenstreckt.
    Sag mal, was machst du hier eigentlich? Einen Werbespot für Brot für die Welt? Schnell schaltest du die Kamera aus und packst sie wieder weg. Das Kind wirft dir einen vernichtenden Blick zu und verlegt seine Aufmerksamkeit auf zwei walkende ältere Damen in Saris und Nike-Turnschuhen. Du verziehst dich zu Nick und Cal, bei dem du dich zugegebenermaßen sicherer fühlst.
    »I tell you a story«, sagt er gerade. Du verdrehst die Augen, aber Nick lacht schon wieder. »Noch höchstens drei Jahre, dann wohne ich da oben.« Er zeigt auf die weißen Prachtbauten hinter sich, die in protziger Ignoranz am Hang kleben. Sein Traumhaus hat einen Eingang, der von zwei überdimensionalen griechischen Säulen eingerahmt wird. Eine Villa aus Pappmaché. Der reinste Horror. »Oder hier.« Cal nickt zu der Familie hinter dir. Während die älteren Kinder immer noch versuchen, den Joggern ein paar Rupien zu entlocken, indem sie sich zu zweit und dritt an ihre Arme hängen, wäscht die Mutter auf einer ausgebreiteten Plane ein Baby. Konzentriert schöpft sie Wasser aus einem Eimer und reibt das Kind mit einem alten Lappen von oben bis unten ab. Sie summt ein Lied vor sich hin, dessen Melodie Cal sofort aufnimmt und mitpfeift.
    Nick schüttelt den Kopf. »Du elender Zyniker«, provoziert er, »du redest von einem Leben, das du keinen Tag lang aushalten würdest.«
    . Cal hört auf zu pfeifen. »Ich bin kein Zyniker«, sagt er leise, »aber hier in Bombay –«
    »Hier stinkt’s nach Scheiße!«
    Hast du das gerade wirklich gesagt? Scheint so, denn die beiden gucken dich an, als hätten sie zeitweise vergessen, dass es dich überhaupt gibt. Nick steht offensichtlich kurz vor einem neuen Lachanfall, und Cal beäugt dich abwartend, voller Hoffnung auf den nächsten Fauxpax, den er dir unter die Nase

Weitere Kostenlose Bücher