Cut
Ob man’s glaubt oder nicht, wenn Kühe erst einmal in Gang gekommen sind, sind sie verdammt schnell. Mein Honorar reichte nicht annähernd aus, um mich auf Ida Mays Weide niedertrampeln zu lassen. Nachdem ich meinen letzten Apfel auf sie geschleudert hatte, hechtete ich gerade noch rechtzeitig über den Zaun, ehe der Bulle mich zerquetschen konnte. Er lief schnaubend im Kreis und scharrte im Dreck. Die Kühe waren auch alle auf hundertachtzig.
Meine Güte.
Ich griff nach meinem Handy.
«Erzählen Sie mir von Clyde Clower», bat ich Big Jim. Ich war völlig außer Atem, doch auf Ida Mays Berg hatte ich Empfang, und das wollte ich ausnutzen. Ich zeigte den Kühen den Stinkefinger und ging, noch immer geschafft von dem Lauf, zurück zum Wagen. «Hat er Familie hier?»
«Seine Mutter ist Witwe, glaube ich. Sie hat ein kleines Haus irgendwo in der Gegend. Glauben Sie, dass Clyde Sadie hat?»
«Er ist ein Verdächtiger, so viel steht fest. Er hat ein Motiv. Aber in dem Trailer Park kann er sie nirgends verstecken. Er müsste sie irgendwo anders hingebracht haben. Haben Sie eine Idee, wohin?»
«Nein. Clyde hat zwar für mich gearbeitet, allerdings nur indirekt. Auf den Plantagen beschäftige ich eine Menge Leute, aber solange es keine Probleme gibt, weiß ich eigentlich kaum etwas über ihr Privatleben.»
«Und was war das Problem mit Clyde? Warum haben Sie ihn entlassen?»
«Er kam betrunken zur Arbeit.»
«Wie komme ich zum Haus seiner Mutter? Wissen Sie das?»
«Ja, einen Moment. Ich müsste die Adresse haben. Haben Sie mit Ida May Culpepper gesprochen?»
«Ja. Im Restaurant. Dann bin ich auf ihren Hof gefahren, um mir die Sache genauer anzusehen. Warum haben Sie mich nicht gewarnt, dass die Kühe auf mich losgehen würden?»
Big Jim lachte. «Was? Kühe sind keine aggressiven Tiere, Keye. Keine Sorge.»
«Interessant. Ich bin gerade mit ein paar von den Äpfeln, die Sie mir gegeben haben, auf der Weide gewesen, und die Kühe hätten mich fast niedergetrampelt.»
Big Jims Lachen dröhnte so laut, dass ich das Telefon vom Ohr nehmen musste. «Tja, sind auch verdammt gute Äpfel», sagte er und lachte wieder.
Auf der Forest Mountain Road, die sich steil in die Berge schlängelte und an der Clyde Clowers Mutter wohnte, hatte der Neon seine liebe Mühe. Ich konnte nur im Schneckentempohochschleichen. Im Rückspiegel sah ich einen Chevy Pick-up, der meiner hinteren Stoßstange gefährlich nahe kam. Ich hörte das Ächzen des Motors und den knirschenden Schotter unter den Reifen und versuchte, nach rechts auszuweichen, doch die Straße war zu schmal. Trotzdem überholte mich der Pick-up und jagte an mir vorbei, als würde ich auf der Stelle kleben. Er zog einen Pferdeanhänger, der ins Schlingern kam und mich fast in den Graben gestoßen hätte.
«Arschloch», rief ich. Der Fahrer streckte seine Hand mit Stinkefinger aus dem Seitenfenster. Im aufgewirbelten Schotter und einer dichten roten Staubwolke bahnte ich mir meinen Weg hinauf zu Mrs. Clowers Haus.
Ich hielt an und ging hinüber zu dem weißen Holzhaus. Das Grundstück war nicht eingezäunt, vor dem Haus standen Blumen, und daneben war ein Gemüsegarten. Vor der Scheune hinter dem Haus sah ich den Pick-up mit Anhänger, der beinahe meinen Wagen ramponiert hätte.
«Ich weiß, dass Sie da sind, Clyde. Kommen Sie mit Big Jims Kuh raus. Ich werde Big Jim jetzt anrufen.»
«Verpiss dich», brüllte er aus der Scheune.
Als ich mein Handy aufklappte, sah ich, dass ich keinen Empfang hatte.
Mist
. Ein Wagen des Sheriffs von Gilmer County bog aufs Grundstück. Der Sheriff und ein Deputy stiegen aus. Anscheinend hatte Big Jim meine Verdächtigungen ernst genommen und sie angerufen. Ich winkte und zeigte auf die Scheune.
«Ich glaube, er hat Jim Penlands Kuh dadrin», sagte ich zu den beiden Männern, als sie näher kamen. «Ich bin ihm hier hoch gefolgt.»
Okay, gefolgt war ich ihm eigentlich erst, seit er an mir vorbeigerast war und mich in roten Staub gehüllt hatte, aber das war ein überflüssiges Detail.
Als ich nach der Detektivlizenz griff, die an meiner Gesäßtasche klemmte, zogen die beiden ihre Waffen.
«Hey, immer mit der Ruhe, Leute. Ich bin Privatdetektivin und von Jim Penland beauftragt worden, seine Kuh zu finden.» Blöderweise entschlüpfte mir ein unsicheres Lachen.
In diesem Moment kam Clyde Clower aus der Scheune und führte Sadie an einem Strick hinter sich her. Als er die Polizisten mit ihren gezogenen Waffen sah, ließ er den
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