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Cut

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Titel: Cut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Kyle Williams
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duschte und schlüpfte in einen weichen Frotteebademantel, der im Bad hing. Ich durfte während meines Aufenthalts eine von mehreren Suiten bewohnen, die mein Auftraggeber für das ganze Jahr mietete. Mein Auftrag bestand darin, eine Übereinkunft mit dem Buchhalter Roy Echeverria zu treffen, der, wie ich erst kürzlich erfahren hatte, nicht nur mit einergroßen Menge Bargeld verschwunden war, sondern auch gut ein Dutzend Tonbänder von privaten Vorstandstreffen gestohlen hatte. Ich besaß die Vollmacht, Echeverria die gleiche Summe für die Bänder anzubieten, die er in bar geklaut hatte, nämlich fünfhunderttausend Dollar, und sobald ich seine Unterschrift auf einer von den Juristen der Firma entworfenen, vertraulichen Vereinbarung hatte, war mein Job erledigt. Mein Auftraggeber war überzeugt davon, dass die Bänder, die offensichtlich so brisant waren, dass sich jedes Vorstandsmitglied beinahe in die Hose machte, irgendwann an die Öffentlichkeit geraten würden. Warum sollte man die diebische Ratte also nicht einfach aufspüren, ihr ein Angebot machen, und zwar ein hohes, zu einer Übereinkunft kommen und den kleinen Verräter vergessen? Bei sechshundert Dollar am Tag plus Spesen und einer Luxussuite hörte sich das für mich ziemlich vernünftig an.
    Ich bestellte telefonisch in der Pfanne geschmorten Spargel, Kartoffelbrei mit Rosmarin und Ziegenkäse sowie gebratenen Thunfisch, machte dann den Fernseher an, sank auf die Couch und wartete auf den Zimmerservice. Ein kurzes, aber heftiges Verlangen nach einem Drink überfiel mich. Als eine uniformierte Kellnerin ein Silbertablett in mein Zimmer balancierte, konnte ich fast die Eiswürfel im Glas klirren hören. In der Hochphase meiner Trinkerei hatte ich mich häufig in Hotels zurückgezogen, um allein zu sein mit der größten Liebe, die ich damals hatte. Inzwischen begnügte ich mich mit einer Diet Pepsi.
    Ich klappte den Laptop auf und überprüfte meine E-Mails . Meine Freundin Madison aus Quantico, die einzige Person vom FBI, die noch mit mir befreundet war, wollte mich besuchen. Sie hatte einmal als Undercoveragentin für die CIA gearbeitet, war jedoch aufgeflogen. Danach war sie auf derFarm gelandet, dem Trainingszentrum der CIA, und hatte versucht, einem Haufen Kindergartenkinder, wie sie die Rekruten nannte, das geheime und gefährliche Handwerk der Spionage beizubringen. Später war sie vom FBI abgeworben worden, wo ich sie zufällig kennenlernte. Wir hatten uns sofort angefreundet. Madisons E-Mail war freiheraus.
Muss dringend mal wieder jemanden sehen, der keine Gravur auf seinem Schreibtischstuhl hinterlässt.
Auf ihre kultivierte Art wollte sie sagen, dass ihre Kollegen ein Haufen Sesselfurzer waren.
    Außerdem hatte ich eine E-Mail von meiner Mutter bekommen, die erst vor kurzem die Freuden des Internets für sich entdeckt hatte und nun pflichtbewusst religiöse Botschaften an mich weiterleitete. Ich las sie nie. Wenn ich eine Massen- E-Mail erhalte, die auch an dreihundert weitere Leute geht, lösche ich sie sofort. Mir ist es schnuppe, ob sie behaupten, dass Jesus zurückkehrt. Zum Glück hat mein Vater bisher noch kein Interesse am Internet gezeigt.
    Wo bist du gewesen, Kind?
, wollte meine Mutter wissen, und ich konnte beim Lesen beinahe ihren tiefen Dialekt hören. Sie ist am Albemarle Sound in North Carolina nicht weit von Virginia aufgewachsen, ihr Tonfall gleicht dem sumpfigen Wasser dort, er ist weich und streng zugleich. Als ich ein Kind war, beruhigte er mich. Abends las sie mir zum Einschlafen vor, nachmittags dagegen musste ich ihr aus allen möglichen Büchern, Magazinen und Zeitungen vorlesen. Worte waren fliegende Teppiche für sie, auf denen sie abdriften konnte. Von ihr lernte ich diese Art der Flucht, sie hat mich gelehrt, Bücher zu lesen.
    Ich rief sie nicht an. Ich muss vorsichtig sein bei meiner Mutter, der Königin der passiven Aggression, besonders wenn sie sich von ihren Kindern vernachlässigt fühlt. Sie ist eineechte Südstaatenmatrone, ein lebendiger Beweis für die Redensart, dass die Menschen im Süden jedem alles sagen können, egal wie beleidigend es ist, solange es nur mit
ach, das tut mir so leid
oder
armes Kindchen
anfängt oder endet. Emily Street hat das zu einer Kunstform entwickelt. Honig tropft ihr von den Lippen, während sie ihre langen Krallen ausfährt und zum Sprung ansetzt.
Melanie, armes Kindchen, kämpfst du immer noch mit deinen Gewichtsproblemen? Und jetzt betrügt Harvey dich auch noch, ach,

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