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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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pochte. Das Zimmer lag im Dunkeln. Sie hatte ihre Armbanduhr ausgezogen, aber sie bezweifelte, lang gelegen zu haben. Hätte sie lange geschlafen, wäre sie orientierungslos aufgewacht, hätte Zeit gebraucht, um herauszufinden, wo sie war und warum sie hier war. Aber die Ereignisse des Abends waren sofort in ihrem Gedächtnis. Es war weit nach Mitternacht, aber es war noch nicht früh am Morgen.
    Sie bemerkte Durhams Abwesenheit, noch bevor sie sich versichernd über das Bett tastete, dann lag sie still und lauschte eine Weile. Ein entferntes schwaches Husten aus einer anderen Wohnung – sonst nichts. Alles war dunkel, sonst hätte sie die Lache gesehen.
    Der Gestank traf sie schwer, als sie das Schlafzimmer verlassen wollte. Kot und Erbrochenes und ein süßlich-kranker Geruch. Sie überlegte, wie schlecht Durham der Streß des Tages und eine Nacht mit Champagner bekommen sein mußten. Am liebsten hätte sie auf der Stelle kehrtgemacht und wäre zurück in das Schlafzimmer geflüchtet, hätte die Fenster aufgerissen und ihren Kopf im Kissen vergraben.
    Die Tür zum Badezimmer war nur angelehnt. Von innen kamen keine Geräusche, die vermuten ließen, daß er noch dort war. Ihre Augen wurden feucht. Sie konnte nicht glauben, daß sie trotz des ganzen Lärms Schlaf hatte finden können.
    Sie rief laut: »Paul? Bist du in Ordnung?«
    Es kam keine Antwort. Wenn er bewußtlos in seinem eigenen Erbrochenen lag, konnte es nicht am Alkohol liegen. Er mußte ernsthaft krank sein. Nahrungsmittelvergiftung? Sie stieß die Tür auf und schaltete das Licht ein.
    Er lag im Duschbecken. Sie zuckte fluchtartig aus dem Raum zurück, aber die Einzelheiten brannten noch auf ihrer Netzhaut, als sie schon lange wieder im Flur stand. Eingeweide. Blutiger Kot. Er sah aus, als hätte er gekniet und wäre zur Seite gefallen. Zuerst war sie sicher, das Messer gesehen zu haben, rot vor dem weißen Hintergrund der Kacheln, aber nach einer Weile begann sie sich zu fragen, ob sie nicht aus einem zufälligen Blutspritzer einen Rorschach-Klecks gemacht hatte.
    Marias Beine drohten nachzugeben. Sie schaffte es bis zu einem Stuhl und sank darauf nieder. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie kämpfte dagegen an, in Ohnmacht zu fallen – sie war noch nie im Leben ohnmächtig geworden –, und eine Zeitlang war sie vollauf damit beschäftigt, ihr Bewußtsein nicht zu verlieren.
    Das erste, was sie hinterher fühlte, war ein Erstaunen über ihre eigene Dummheit. Als wäre sie mit offenen Augen gegen eine massive Mauer gerannt. Durham war davon überzeugt gewesen, daß seine Kopie unsterblich geworden war. Und dann hatte er die Staubhypothese bewiesen. Sein Lebenswerk hatte sich mit der Vollendung des Projekts erfüllt. Was hatte sie denn erwartet, was er danach tun würde? Versicherungen verkaufen?
    Es war Durham gewesen, dessen Stöhnen – durch zusammengebissene Zähne – sie im Schlaf vernommen hatte.
    Und es war Durham gewesen, der weiter gepreßt hatte, Durham, der ausgesehen hatte, als wolle er jeden Augenblick etwas gebären.
    Sie rief einen Krankenwagen. »Er hat seinen Unterleib mit einem Messer aufgeschlitzt. Die Wunde ist sehr tief. Ich habe nicht genau hingesehen, aber ich glaube, er ist tot.« Sie bemerkte, daß ihre Stimme ganz ruhig blieb, als sie mit der Softwaremarionette in der Rettungszentrale sprach. Hätte sie einem menschlichen Wesen das gleiche erzählen müssen, dann hätte sie völlig die Fassung verloren.
    Als sie aufgelegt hatte, begannen ihre Zähne zu klappern. Sie gab leise stöhnende Geräusche von sich, die ihr in den Ohren klangen, als wären sie fremd. Sie wollte sich anziehen, bevor der Krankenwagen und die Polizei eintrafen, aber sie fand nicht die Kraft, auch nur eine Bewegung zu machen. Der Gedanke erschien ihr abartig, daß sie sich überhaupt darum scheren könnte, wenn man sie nackt hier anträfe. Dann durchbrach irgend etwas ihre Lähmung, und sie kam auf die Füße. Sie stolperte im Zimmer umher und raffte die Kleider an sich, die sie erst ein paar Stunden zuvor gemeinsam über den Boden verstreut hatten.
    Irgendwie schaffte sie es, sich anzuziehen. Zusammengesunken saß sie in einer Ecke im Wohnzimmer und wiederholte im Kopf ständig eine monotone Litanei von Entschuldigungen. Sie hatte ihn nie aufgemuntert. Sie hatte mit ihm bei jeder Gelegenheit über seine wahnsinnigen Ansichten gestritten. Wie hätte sie ihn retten können? Indem sie das Projekt hinschmiß? Das hätte ja doch nichts geändert. Indem sie

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