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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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sie alles komplizierter gemacht, sich auf ein neues Stadium in ihrer verwickelten Beziehung eingelassen – oder nur das Ende davon markiert, ihm Lebewohl gesagt? Eine Stunde katastrophaler Sex erleichterte überhaupt nichts – sie fühlte sich noch immer schuldig, weil sie von ihm Geld genommen, ihn »übervorteilt« hatte.
    Was würde sie tun, wenn er sie wiedersehen wollte? Sie würde es nicht ertragen, die nächsten sechs Monate damit zu verbringen, ihm zuzuhören, wenn er von der großen Zukunft faselte, die sein selbstgebasteltes Universum erwartete. Sie war stolz darauf, daß sie ihm nie einfach seinen Willen gelassen, nicht einen einzigen Augenblick vorgegeben hatte, seine Theorien zu akzeptieren, und sie hatte noch nie eine geistig gesunde Person getroffen, mit der sie so freundlich streiten konnte. Aber es war irgendwie nicht ehrlich, angesichts ihres Skeptizismus eine feste Beziehung aufbauen zu wollen. Und wenn es ihr je gelänge, ihm seine Illusionen auszureden … dann würde sie sich wahrscheinlich ebenfalls schuldig fühlen.
    Sie spürte allmählich, wie lang der Tag gewesen war. Sie konnte nicht mehr klar denken. Sie konnte sich auch morgen noch entscheiden.
    Aus der Küche drang Licht ins Schlafzimmer und fiel auf ihr Gesicht. Sie befahl dem elektronischen Butler, es auszuschalten. Keine Reaktion. Sie stand auf und schaltete es selbst aus. Als sie sich im Dunkeln zurücktastete, hörte sie, wie Durham sich bewegte. Plötzlich zögerte sie, sich weiter zu nähern.
    Seine Stimme erklang im Dunkeln: »Ich weiß nicht, was du denkst – aber das hatte ich nicht geplant.«
    Sie lachte. Dachte er etwa, er hätte sie verfiihrt? »Nein, ich auch nicht. Alles, was ich wollte, war dein Geld.«
    Er schwieg einen Augenblick, aber sie konnte seine Augen und Zähne in der Dunkelheit schimmern sehen. Anscheinend lächelte er.
    Er sagte: »Das ist schon in Ordnung. Alles, was ich wollte, war deine Seele.«
     

20
    (Kannst du nicht zeitreisen?)
     
    In den Pausen während seines Abstiegs hatte Peer immer wieder nach oben geschaut. Schließlich erkannte er, was ihn die ganze Zeit so gestört hatte: Die Wolken über dem Hochhaus bewegten sich nicht. Nicht nur, daß sie relativ zum Boden auf der Stelle verharrten, sie waren bis zur geringsten Einzelheit vollkommen regungslos. Selbst die kleinsten Wolkenfetzen an den Rändern, die mit Sicherheit von jedem auch noch so schwachen Windhauch verweht werden mußten, blieben wie festgeklebt an Ort und Stelle, egal wie lange er hinsah. Die Wolken erschienen natürlich, echt – aber jene Dynamik, die auf den ersten Blick in den windgeformten Gebilden herrschte, war reine Illusion. Nichts an diesem Himmel veränderte sich.
    Im ersten Augenblick war er wegen des komischen Details nur amüsiert, doch dann fiel ihm ein, warum er es so ausgesucht hatte.
    Kate war verschwunden. Sie hatte gelogen. Sie hatte nicht daran gedacht, sich zu klonen. Sie war nach Carters Stadt gegangen, und sie hatte keine Zweitversion von sich zurückgelassen.
    Sie hatte ihn alleingelassen! Zumindest diese Hälfte von ihm.
    Die Erkenntnis führte nicht dazu, daß er erschrak. Nichts, was auf dem Wolkenkratzer geschah, konnte ihn erschrecken. Er hing an der Mauer und erholte sich gutgelaunt, während er sich wunderte, mit welchen Methoden er den Schmerz besiegt hatte, oben, in der Dunklen Zeit, bevor er begonnen hatte, bis in die Ewigkeit hinabzuklettern.
    Er hatte die Umgebung wie üblich initialisiert – die Stadt, den Himmel, den Wolkenkratzer – aber er hatte die Wolken eingefroren. Nicht nur, um die Rechenprozesse zu vereinfachen, sondern als Gedächtnisstütze.
    Er hatte eine ganze Reihe von Hinweisen für sein Erinnerungsvermögen und den Wechsel seiner Stimmungen festgelegt, über einen Zeitraum von subjektiv fünfzehn Minuten. Natürlich mußte er seinen Fortschritt nur skizzieren, wie ein naiver Musiker, der einem Transscriber eine Melodie vorsummte: Die Software besorgte den Rest von alleine und berechnete die Abfolge der Zustände seines Quasigehirns. Ein Augenblick folgte dem anderen, völlig ungezwungen, und sein Verstand würde sich nicht damit quälen müssen, etwas anderes zu tun als seiner inneren Logik zu folgen. Indem er diese Logik im voraus fein abstimmte und die richtigen Erinnerungen einlas, würde sich die gewünschte Folge mentaler Ereignisse entfalten: von A nach B nach C … nach A.
    Peer blickte über die Schulter nach unten. Der Boden war noch immer unendlich weit weg, und

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