Cyber City
er würde es bleiben. Peer lächelte. Er hatte schon zuvor davon geträumt, dies hier eines Tages zu tun, doch er hatte nie den Mut dazu gefunden. Der Verlust Kates – während er gleichzeitig wußte, daß er bei ihr war – hatte ihn irgendwie endgültig davon überzeugt, daß er nichts mehr gewinnen konnte, wenn er sein Vorhaben länger aufschob.
Die allgemeine Anordnung würde nicht völlig aus seiner Erinnerung verschwinden. Er würde sich vage daran erinnern, die gleiche Entdeckung bereits einige Male vorher gemacht zu haben – doch er hatte sein Kurzzeitgedächtnis gezielt präpariert, um die Grenzen seiner künstlichen und rekursiven Erinnerung zu verwischen. Wenn er erst abgelenkt war, würde ihn eine Reihe freier Assoziationen schließlich zu genau dem Zustand seines Gedächtnisses zurückführen, an dem er angefangen hatte. Auch sein Körper würde in Hinsicht auf jeden sichtbaren Beweis in der Umgebung wieder am Ausgangsort angelangt sein. Der Boden und der Himmel waren statisch, alle Stockwerke des Wolkenkratzers waren identisch, also würden seine Wahrnehmungen ebenfalls gleich sein. Und wie immer würde jedes Gelenk, jeder Muskel seines Körpers vollkommen ausgeruht sein.
Peer mußte über die Genialität seines Dunklen Selbst lachen und begann wieder mit seinem Abstieg. Es war eine sehr elegante Lösung. Er war glücklich, daß er schließlich einen Dunklen Grund gefunden hatte, das alles zu verwirklichen.
Trotzdem. Da war ein Detail, an das er sich nicht richtig erinnern konnte – eine Wahl, die er in der Dunklen Zeit getroffen hatte – es schien, als hätte er entschieden, es vollständig vor sich selbst zu verbergen.
Hatte er sein Exo-Selbst programmiert, den Zyklus für unbestimmte Zeit fortzusetzen? ABCABCABC … und schließlich ein gewaltiges, einschlagendes DEF, das wie die Faust Gottes durch die Wolken brach? Oder ein Wolkenfetzen, der sich schließlich doch bewegte? Und seiner endlosen Bewegungsschleife ein Ende setzte? Ein Enterhaken konnte ihn von der Seite des Wolkenkratzers wegreißen. Eine unmerkliche Änderung der Umgebung konnte seine Gedanken aus ihrem vollkommenen kreisenden Orbit stoßen. Egal. Die Erfahrung eines einzigen ununterbrochenen Zyklus' wäre genau die gleiche wie die von Tausenden. Wenn es so etwas wie eine Alarmglocke überhaupt gab, dann wäre der nächste Zyklus derjenige, bei dem der Summer sich meldete. Subjektiv. Immer.
Und wenn es keine Zeitbegrenzung gab? Vielleicht hatte er sein Schicksal in fremde Hände gelegt? Auf ein zufälliges Treffen mit einer anderen Kopie gehofft oder ein Ereignis in der Welt selbst, das als Auslöser seiner Befreiung diente?
Oder hatte er vollkommenen Solipsismus gewählt? Kreiste er immer wieder von vorn durch den Zyklus, egal, was auch geschah? Bis sein Treuhänder sein Vermögen unterschlug oder irgendein Terrorist die Rechner in die Luft blies, die Zivilisation zusammenbrach, die Sonne verlosch?
Peer verharrte und schüttelte den Kopf, um den Schweiß aus den Augen zu vertreiben. Die Handlung löste ein – vermutlich synthetisches – D é j à -vu-Gefühl aus, aber nichts verriet ihm, wie oft er schon an dieser Stelle gewesen war und den Kopf geschüttelt hatte. Plötzlich kam es ihm unwahrscheinlich vor, daß er etwas so Unelegantes wie eine ständige Wiederholung des Zyklus programmiert haben könnte. Sein subjektives Zeitempfinden begann innerhalb der Schleife immer wieder von vorn, und es gab überhaupt keine Veranlassung, den letzten Augenblick durch eine externe Steuerung in den ersten zu überführen. Was auch draußen geschah, wieviel Zeit auch verging – die Schleife war vollkommen nahtlos. Er hätte sich abschalten können, nachdem er einen Zyklus durchlaufen hatte, und es würde keinen Unterschied gemacht haben.
Ein Wind kam auf und kühlte seine Haut. Peer hatte sich noch nie so ruhig, so physisch entspannt und so im Frieden mit sich selbst gefühlt. Es mußte ein schlimmes Trauma gewesen sein, daß er Kate verloren hatte, doch das lag hinter ihm. Für immer und ewig.
Er setzte seinen Abstieg fort.
21
(Vergib nicht den Mangel)
Juni 2051
Maria erwachte aus einem Traum, in dem sie ein Kind geboren hatte. Eine Hebamme hatte sie gedrängt: »Weiter so, pressen, ja, pressen!« Sie hatte durch zusammengebissene Zähne geschrien, aber sie hatte getan, was die Hebamme von ihr verlangte. Das Kind hatte sich als eine blutbefleckte Statue entpuppt, geschnitzt aus glattem, schwarzem Holz.
Ihr Schädel
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