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Cyber City

Cyber City

Titel: Cyber City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Sicherheit für den Fall, daß an seinem Modell irgend etwas außer Kontrolle geriet und die Quelle des Schadens – ein langsamer Virus, ein versteckter Programmierfehler – alle Sicherungskopien aus der Zwischenzeit ebenfalls angegriffen und wertlos gemacht hätte. Sein Leben würde ohne jede Erinnerung an die Zeit nach 2045 beginnen, aber das wäre immer noch besser als nichts.
    Nachdem er die notwendigen Elemente zusammengesetzt hatte, fertigte er ein Skript des ganzen Szenarios und ließ es ablaufen, ohne die Resultate zu überwachen. Dann hielt er den Rechenprozeß und damit den Softwareklon an und schickte ihn im letztmöglichen Augenblick zu Durham – ohne sich selbst eine Chance zum Rückzug zu lassen, oder schlimmer, wenn er zu der Erkenntnis gelangte, daß er im ersten Versuch versagt hatte, ohne die Möglichkeit, einen neuen Anlauf zu starten.
    Jetzt war er bereit nachzusehen, was er angerichtet hatte, sich mit den geschaffenen Tatsachen auseinanderzusetzen. Er saß in der Bibliothek – der Barschrank war verschlossen – und bedeutete dem Terminal mit einer Geste, anzufangen.
    Der alte Mann in seinem Bett sah viel schlechter aus, als Thomas erwartet hatte. Seine Augen waren tief in ihren Höhlen versunken, seine Haut gelbsüchtig, der Kopf fast kahl. (Soviel in aller Ehrlichkeit zu seinem Erscheinungsbild und den ›minimalen‹ Änderungen, die er an sich durchgeführt hatte, um halbwegs vorzeigbar zu bleiben.) Seine Brust war mit Narben übersät, und Elektroden liefen kreuz und quer. Der Kopf war halb von einer Art Helm verhüllt, aus dem ebenfalls Elektroden ragten. In seinem rechten Arm steckte eine Nadel, sie war mit einer Infusionspumpe neben dem Bett verbunden. Der Klon war durch ein einfaches synthetisches Opiat sediert, das in seinem primitiv modellierten Blutkreislauf zirkulierte, gerade so, wie Thomas' Original damals von einem wirklichen Opiat sediert worden war, auf dem Sterbebett, in der Zeit zwischen dem Scan und seinem Tod drei Tage später.
    In dieser Wiederholung war jedoch geplant, die Konzentration des Narkotikums ab einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich stark abzusenken. Es gab keinen physikalisch plausiblen Grund, und es war auch keiner erforderlich. Ein Graph in einer Ecke des Bildschirms zeichnete den Konzentrationsabfall auf.
    Thomas beobachtete die Szene, krank vor Furcht, aber voll irrer, fiebriger Hoffnung. Endlich. Dies war das Ritual, von dem er immer geglaubt hatte, es könne ihn heilen.
    Der alte Mann erlangte das Bewußtsein. Seine Augen blieben geschlossen; Thomas konnte mit den wellenförmigen Kurven des EEG zwar nichts anfangen, aber die Software, die die Simulation überwachte, hatte das Erwachen mit einem Untertitel auf dem Schirm versehen. Darunter stand noch weiterer Text:
     
    Das Anästhetikum hat noch nicht gewirkt. Können sie denn überhaupt nichts richtig machen? [Verstümmelte Laute.] Der Scan kann doch noch nicht vorbei sein? Ich bin noch keine Kopie. Die Kopie würde mit klarem Kopf erwachen, in der Bibliothek sitzend, und man hätte in ihr Bewußtsein eingegriffen, um die Orientierungslosigkeit zu vermeiden. Warum zur Hölle bin ich wach?
     
    Der alte Mann öffnete die Augen.
    Thomas rief: »Anhalten!« Ihm war heiß geworden. Er schwitzte, und ihm war übel, aber er machte keinen Versuch, die unnötigen Begleiterscheinungen zu verdrängen. Er hatte die Katharsis gewollt, oder nicht? War das nicht genau der Punkt, auf den es ankam? Die Untertitel gaben nur einen vagen Hinweis auf das, was der Klon gerade erlebte. Größere Klarheit wäre jederzeit möglich gewesen: Die Aufzeichnung beinhaltete auch die Pläne der neurologischen Reaktionswege. Wenn Thomas wollte, könnte er die Gedanken des Klons lesen.
    Er sagte: »Ich möchte wissen, was er denkt, was er gerade durchmacht.« Nichts geschah. Er schlug die Faust in die Hand und flüsterte: »Neustart.«
    Die Bücherei verschwand; er lag flach auf dem Rücken in seinem Krankenhausbett, starrte an die Decke, war verwirrt. Er blickte an sich herab und bemerkte den Haufen von Monitoren neben sich, die Kabel auf seiner Brust. Die Bewegungen seiner Augen und seines Kopfes stimmten nicht. Intelligibel, aber erschreckend unsynchron mit seinen Absichten. Er hatte Furcht und war orientierungslos, aber er hatte kein Gefühl, wieviel davon seine eigenen Emotionen und wieviel die des Klons waren. Thomas schüttelte seinen (eigenen) Kopf, Panik stieg auf – und die Bibliothek und sein Körper waren wieder da.
    Er

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