Cyberabad: Roman (German Edition)
Grün ist eine Lüge, denn dieser Hochwald ist nach drei Jahren Dürre ausgetrocknet und feuerhungrig. Vishram trinkt den Champagner aus – der nun warm und schal geworden ist –, als die Anschnallzeichen aufleuchten.
»Soll ich Ihnen das abnehmen?«, fragt die Hostess, die ihm wieder viel zu nahe ist. Vishram bildet sich ein irritiertes Zucken im perfekten, geschminkten Gesicht ein. Ich habe deinen Verführungskünsten widerstanden. Der Senkrechtstarter schwenkt in eine Landespirale ein. Eine Veränderung in der Tonhöhe verrät ihm, dass die Turbinen in die Landestellung gedreht werden, aber als Vishram nach unten blickt, kann er nichts erkennen, das wie ein Flughafen aussieht. Die Maschine treibt über dem Blätterdach des Waldes, so tief, dass die Triebwerke einen Sturm entfachen und die Blätter aufwirbeln. Dann erreicht der Triebwerkslärm einen Höhepunkt, und Vishram stürzt in den Wald. Vögel zerstieben in einer lautlosen Explosion in alle Richtungen, und dann hat er mit einem sanften Aufprall den Boden erreicht. Das Heulen verebbt zu einem Wimmern. Das Assam-Mädchen macht sich an der Tür zu schaffen. Hitze schwappt herein. Sie winkt ihm. »Mr. Ray.« Am Fuß der Treppe steht ein alter Rajput mit großem weißem Schnurrbart und einem so fest gewickelten Turban, dass Vishram aus Sympathie eine Migräne bekommt. Hinter ihm stehen ein Dutzend Männer in Khaki aufgereiht, mit seitlich hochgebogenen Schlapphüten und geschulterten schweren Sturmgewehren.
»Mr. Ray, herzlich willkommen im Tigerschutzgebiet Palamau«, sagt der Rajput mit einer Verbeugung.
Das Assam-Mädchen bleibt im Senkrechtstarter. Während sich der Rajput mit seinem Besucher vom Flugzeug entfernt, verteilen sich die Schlapphüte mit den Gewehren im Kreis. Die Maschine ist auf einer runden Fläche aus nackter Erde innerhalb eines dichten Hains aus Bambus und Gebüsch niedergegangen. Ein Sandweg führt durch die Bäume. Der Weg wird von stabil gebauten Schutzhütten gesäumt – in übertrieben hoher Anzahl, wie Vishram findet. Keine ist weiter als einen panischen Sprint von der nächsten entfernt.
»Wofür sind die?«, fragt Vishram.
»Für den Fall eines Tigerangriffs«, antwortet der Rajput.
»Ich glaube eher, alles, was uns fressen könnte, ist inzwischen kilometerweit entfernt, nach dem Lärm, den wir bei der Landung gemacht haben.«
»Ganz und gar nicht, Sir. Sie haben gelernt, das Geräusch von Flugzeugtriebwerken zu assoziieren.«
Womit? Vishram verspürt den Drang, danach zu fragen, aber irgendwie kann er sich nicht dazu durchringen. Er ist ein Stadtjunge. Aus der Stadt! Hört ihr das, ihr Menschenfresser? Vollgepumpt mit üblen Zusatzstoffen.
Die Luft ist sauber und riecht nach Wachstum und Tod und der Erinnerung an Wasser. Staub und Hitze. Der Weg macht einen Bogen, so dass der Landeplatz nach wenigen Schritten unsichtbar ist. Durch denselben Effekt bleibt die Hütte bis zum letzten Moment verborgen. Eben noch gab es nur Grün und Blätter und raschelnde Zweige, und plötzlich verwandeln sich die Stämme in Pfosten und Leitern und Treppen, und zwischen den Wipfeln breitet sich ein großes Baumhaus aus, wie eine Galeone, die vom Monsun mitgerissen und im Wald abgesetzt wurde.
Weiße Männer in bequemen und demzufolge teuren Anzügen beugen sich über das Geländer, um ihn winkend und lächelnd zu begrüßen.
»Mr. Ray! Kommen Sie an Bord!«
Sie reihen sich am Ende der Holzleiter auf, als würden sie einen Admiral auf ihrem Schiff empfangen. Clementi, Arthurs, Weitz und Siggurdson. Ihr Händedruck ist fest, ihr Blickkontakt klar, mit der aufgesetzten Fröhlichkeit von Geschäftsleuten. Vishram zweifelt keinen Augenblick lang daran, dass sie ihn beim Golf vornüberzwingen und ihm einen Mashie Niblick in den Arsch schieben würden – oder bei irgendeinem anderen muy macho Männermachtspiel. Seine Theorie in Bezug auf Golf lautet: Betreibe niemals eine Sportart, die von dir verlangt, dich wie dein Großvater zu verkleiden. Nach und nach kommen ihm ein paar Ideen zu einem netten kleinen Programm über das Thema Golf – wenn er denn immer noch ein Leben führen würde, in dem es um Comedy-Programme geht.
»Ist das nicht ein wunderbarer Ort für ein Mittagessen?«, sagt der große, akademisch wirkende Arthurs, als er Vishram Ray über den Laufsteg aus Holz führt und sie sich spiralförmig immer höher ins Blätterdach hinaufarbeiten. Vishram schaut blinzelnd nach unten. Die Männer mit den Gewehren blicken zu ihm hoch.
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