Cyberabad: Roman (German Edition)
können Sie nicht weglaufen oder sich verstecken. Sie können sich nicht ducken und hoffen, dass sie Sie vergessen werden. Was auch immer Sie tun, diese Kaihs können Sie sehen. Ganz gleich, welche Identität Sie annehmen, sie wissen es schon, bevor Sie es tun. Ganz gleich, wohin Sie gehen, sie werden schon vor Ihnen dort sein und auf Sie warten, weil sie es bereits erraten haben, bevor Sie selbst das erste Mal daran gedacht haben. Es geht hier um Gen-Dreier, Mann. Es sind Götter! Sie können keine Götter lizensieren.«
Mr. Nandha wartet die Tirade ab, bevor er die billigen, in der Hitze angelaufenen Kalki-Amulette einsammelt und in die Beutel zurücklegt.
»Vielen Dank. Jetzt kenne ich den Namen meines Feindes. Guten Tag.«
Er dreht sich um und läuft durch die staubigen weißen Lichtstrahlen zurück. Das Klacken seiner Absätze hallt vom edlen islamischen Marmor zurück. Hinter seinem Rücken hört er dumpfe Schläge von Fäusten gegen flexible Plastikwände und Anreddys ferne und gedämpfte Stimme.
»He, die Vorhänge, Mann! Lassen Sie mich nicht so zurück! Lassen Sie die Vorhänge nicht offen! Mann! Die Vorhänge. Sie können mich sehen! Verdammt, sie können mich sehen! Die Vorhänge!«
20 V ishram
Sein Schreibtisch ist groß genug, um darauf mit einem Kampfjet landen zu können. Er hat ein Büro aus Holz und Glas im obersten Stock. Er hat einen eigenen Cheflift und eine eigene Cheftoilette. Er hat fünfzehn Anzüge, die aus dem gleichen Stoff und nach dem gleichen Muster geschneidert sind wie der, den er getragen hat, als er sein Imperium erbte, und dazu passende handgefertigte Schuhe. Und als persönliche Assistentin hat er Indira, die die irritierende Fähigkeit besitzt, physisch vor ihm zu stehen und sich gleichzeitig auf seinem Desktop-Organizer und als Geist in seinem visuellen Kortex zu manifestieren. Er hat von diesen professionellen Sekretär-Systemen gehört, die zum Teil Mensch, zum Teil Kaih sind. So etwas gehört zum modernen Büromanagement.
Außerdem hat Vishram Ray einen brutalen Strega-Kater und ovale Sonnenbrandflecken um die Augen, wo er zu tief und zu lange in ein anderes Universum geblickt hat.
»Wer sind diese Leute?«, fragt Vishram Ray.
»Die Siggurdson-Arthurs-Clementi Group«, sagt Indira-auf-dem-Teppich, während Indira-auf-dem-Schreibtisch die Lotushände öffnet, um ihm einen Terminplan zu zeigen, und Indira-im-Kopf sich zu Porträtfotos von gut genährten weißen Männern mit teuren Anzügen und noch teureren Zähnen auflöst. Für ihre Ähnlichkeit mit Audrey Hepburn hat Indira-auf-dem-Teppich eine erstaunlich tiefe Stimme. »Ms. Fusco wird Ihnen im Wagen weitere Informationen geben. Und Energieminister Patel hat um einen Termin gebeten, genauso wie die energiepolitische Sprecherin der Shivaji. Beide wollen wissen, welche Pläne Sie mit dem Unternehmen verfolgen wollen.«
»Ich weiß selber nicht, welche Pläne ich habe, aber der ehrenhafte Minister wird sie als Erster erfahren.« Vishram hält an der Tür inne. Alle drei Indiras warten erwartungsvoll. »Indira, wäre es möglich, mit diesem ganzen Büro aus dem Ray Tower auszuziehen und es in die Forschungsabteilung zu verlegen?«
»Gewiss, Mr. Ray. Sind Sie mit diesen Räumlichkeiten unzufrieden?«
»Nein, es ist ein sehr hübsches Büro. Sehr ... geschäftsmäßig. Nur dass ich mich hier ... der Familie recht nahe fühle. Meinen Brüdern. Und wenn wir schon dabei sind, würde ich auch gern aus dem Haus ausziehen. Ich finde es ein bisschen ... erdrückend. Könnten Sie mir ein nettes Hotel suchen? Mit gutem Zimmerservice?«
»Gewiss, Mr. Ray.«
Als er geht, sind die Indiras bereits damit beschäftigt, Angebote von Umzugsfirmen und Hotels mit Penthouse-Suiten einzuholen. Im Ray-Power-Mercedes genießt Vishram Marianna Fuscos Chanel 27. Gleichzeitig spürt er, dass sie sauer auf ihn ist.
»Sie ist Physikerin.«
»Wer ist Physikerin?«
»Die Frau, mit der ich gestern zu Abend gegessen habe. Eine Physikerin. Ich sage es dir, weil du mir etwas ... schnippisch vorkommst.«
»Schnippisch?«
»Kurz angebunden. Verärgert. Du weiß schon. Schnippisch eben.«
»Ach so. Ich verstehe. Und das liegt an deinem Abendessen mit einer Physikerin?«
»Einer verheirateten Physikerin. Einer verheirateten Hindu-Physikerin.«
»Ich frage mich, warum du das Bedürfnis hast, mir zu sagen, dass sie eine verheiratete Frau ist.«
»Eine verheiratete Hindu-Physikerin. Namens Sonia. Deren Gehaltsscheck ich unterschreibe.«
»Als
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