Cyberabad: Roman (German Edition)
»Wie schade, dass Bhagwandas meint, dass wir praktisch keine Chance haben, einen Tiger zu sehen.« Er hat den nasalen, leicht trötenden Akzent eines typischen Bostoners. Also dürfte er Buchhalter sein, schlussfolgert Vishram. In Glasgow sagten die Leute, man sollte sich stets katholische Anwälte und protestantische Buchhalter nehmen. Sie gehen zwischen Reihen von Kellnern in eleganten Pyjamas und mit Rudyard-Kipling-Turbanen hindurch. Eine doppelte Mahagonitür mit geschnitzten Schlachtszenen aus dem Mahabharata wird aufgerissen, ein Oberkellner führt sie zum Festmahl, das in einer Vertiefung im Boden mit Kissen und einem niedrigen Tisch angerichtet wurde. Es wäre der Gipfel des Kitsches, wenn nicht der Ausblick unter dem Dachgesims durch das Panoramafenster auf das Wasserloch gewesen wäre. Der Rand ist zu Matsch zertrampelt, aber Vishram glaubt, Chitals zu sehen, die nervös vom schmutzigen braunen Wasser nippen, während die Ohren in ständiger Alarmbereitschaft hin und her schwenken. Er denkt an Varanasi, an das widerliche Wasser und die Radaranlagen.
»Setzen Sie sich, setzen Sie sich«, insistiert Clementi, ein breiter, dunkelhaariger Mann, teigig wie ein Inder und bereits mit dem Ansatz eines blauen Kinns. Die Westler lassen sich unter Geschnaufe und Gelächter nieder. Punkah-Fächer wedeln an der Decke und rühren die warme Luft um. Vishram setzt sich und macht es sich auf dem niedrigen Diwan bequem. Der Oberkellner bringt Mineralwasserflaschen. Saiganga . Gangeswasser. Vishram Ray hebt sein Glas.
»Meine Herren, ich bin gänzlich Ihrer Gnade ausgeliefert.«
Sie lachen mit übertriebener Anerkennung.
»Ihre Seele werden wir später einfordern«, sagt Weitz, der offensichtlich jemand ist, der sich an der Highschool, dem College, beim Sport und an der Business Law School nie allzu sehr anstrengen musste. Vishrams Publikumsgespür bemerkt, dass Siggurdson, der große, leichenblasse Kerl, das geringfügig weniger witzig findet als die anderen. Der Wiedergeborene, der mit dem Geld.
Das Mittagessen kommt auf dreißig winzigen Thalis. Es ist von jener exquisiten Einfachheit, die stets wesentlich kostspieliger ist als jede Opulenz. Die fünf Männer reichen die Gerichte herum und murmeln leise Hallelujas der Anerkennung für jede subtile Kombination von Gemüsen und Gewürzen. Vishram fällt auf, dass sie ohne jegliche Unsicherheit indisch essen. Ihre Marianna Fuscos haben sie sogar darauf gedrillt, welche Hand sie benutzen sollen. Doch abgesehen von den leisen Geschmacksoffenbarungen und gegenseitigen Ermunterungen, eine Kostprobe hiervon und ein Krümelchen davon zu nehmen, verläuft die Mahlzeit schweigend. Schließlich sind die dreißig silbernen Thalis geleert. Die Boys des Oberkellners flattern wie Tauben herein, um abzuräumen, und die Männer lehnen sich auf ihren bestickten Kissen zurück.
»Also, Mr. Ray, wir wollen gar nicht allzu viele Worte vergeuden. Wir sind an Ihrer Firma interessiert.« Siggurdson spricht langsam und gemessen dahinschreitende Worte, wie eine Herde Büffel, die zu gefährlicher Unterschätzung verlocken.
»Ach, wenn doch nur alles mir gehören würde, was Sie kaufen möchten«, sagt Vishram. Jetzt wünscht er sich, er hätte nicht eine Seite des Tisches ganz für sich allein. Alle Köpfe sind ihm zugewandt, jede Körpersprache richtet sich auf ihn.
»Oh, das wissen wir«, sagt Weitz.
Arthurs redet weiter. »Sie haben ein nettes kleines mittelgroßes Unternehmen, das Energie erzeugt und vertreibt. Gute Positionierung, rudimentäre semi-feudale Besitzstrukturen. Trotzdem hätten Sie das Geschäft schon vor Jahren ausweiten sollen, um die Aktiengewinne zu maximieren. Aber so etwas machen Sie hier ganz anders, das ist mir bewusst. Ich verstehe es nicht, aber es gibt in diesem Land sehr viele Dinge, die für mich offen gesagt überhaupt keinen Sinn ergeben. Vielleicht sind Sie ein wenig überkapitalisiert, und Sie haben zweifellos viel zu viel in soziales Kapital investiert. Das Budget Ihrer Forschung und Entwicklung würde bei uns zu Hause großes Erstaunen auslösen, aber Sie sind ziemlich gut in Form. Vielleicht keine Weltklasse und auch kein Marktführer, aber Sie stehen auf einem guten Platz in der Regionalliga.«
»Das haben Sie sehr nett gesagt«, erwidert Vishram mit gerade so viel Gehässigkeit, wie er sich in dieser Teak-Arena erlauben kann. Ihm ist klar, dass sie ihn pieksen und plagen und zu einer unbedachten Äußerung provozieren wollen. Er blickt auf seine
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