Cyberabad: Roman (German Edition)
hat, während ys in einer Koje der Fugazi für die Anzahlung sparte. Wie die Erinnerung an einen Albtraum ist es eine Reihe von unzusammenhängenden Eindrücken. Die Hormoninjektionen, dreimal täglich. Das ständige Rasieren. Die endlosen Mantras, um sich abzugewöhnen, genderlich zu denken, um zu einem Neut zu werden.
»Ja, ich glaube, er kommt endlich«, sagt Nanak, als das Neut neben ys ins Becken steigt und alle sexuelle Identität ausgelöscht wird. Sie bewegen sich gemeinsam durch das blutwarme Wasser und berühren sich, wie es Neuts tun.
Thal schläft in jener Nacht an Nanaks Seite, zusammengerollt und tief und fest, und sie berühren sich, wie es Neuts tun, wie Freunde, die gelegentlich zusammen schlafen.
»Pass gut auf in Varanasi«, ruft Nanak ys zu, als ys an der schorfigen Wand der Fugazi hinabklettert, hinunter zum wartenden Riva, der im verdreckten Wasser dümpelt.
»Ich werde es versuchen«, ruft Thal zurück, »aber es ist ein erdrückendes kleines Herzensding.«
Als sich das Tragflügelboot vom erstaunlichen Bogen der Bund-Hafenanlagen entfernt, blickt Thal aus dem Fenster und sieht eine Fläche aus aufgewühlten grauen Wolken, die sich im Süden und Osten ausgebreitet haben, weiter, als ys blicken kann. ROMANCE AND ADVENTURE MIX dröhnt in sys inneren Ohren.
Wie Thal gehofft hat, ist Varanasi von ys begeistert. Insbesondere die Metasoap-Abteilung von Indiapendent Productions. Und ganz besonders Neeta am Tresen. Sie klatscht in die Hände, und ys sagt, dass ys faaaabelhaft aussieht und ys offenbar eine schöne Zeit im schrecklichen Patna hatte, und, oh, ich hätte fast vergessen, dass hier ein Brief für dich ist, mit Sonderzustellung und so.
Die Sonderzustellung steckt in einer Plastikhülle, auf der Dringlich und Eigenhändig zustellen steht, mit Blitzsiegeln und kniffligen Schnüren, an denen man hier ziehen muss, damit dort eine Schlaufe gelöst wird, mit der man wiederum einen perforierten Streifen aufreißen kann, um das innenliegende WICHTIGE DOKUMENT mit dem Daumen am Schnellspanner herausziehen und den Plastikumschlag entlang der markierten Perforierung aufreißen zu können, bis man schließlich die Nachricht in den Händen hält. Ein einzelner Zettel. Handbeschreiben mit diesen Worten: Muss Dich wiedersehen. Kannst Du heute Abend kommen, am 12. August? Im Club, Uhrzeit egal. Bitte. Danke. Und darunter eine einzelne verschnörkelte Initiale.
»Es ist wie in Stadt und Land , aber real!«, begeistert sich Neeta.
Thal liest den Brief ein Dutzend Mal im Phatphat zum White Fort. Während ys sich für den Abend mit dem Look aufdonnert (wenn sonst niemand mit dem Look im Club ist, wird ys alle Blicke auf sich lenken), langweilt das Fernsehen mit Kriegsgerede, und die Unterhaltungsprogramme sind voller lächelnder Leute, die in Formation tanzen, und zum ersten Mal kann ys sich nichts davon ansehen. Gar nichts. Ys schnappt sys Tasche und stürmt los. Mama Bharat ist auf dem Treppenabsatz und stellt den Müll raus.
»Keine Zeit, keine Zeit, heiße heiße Verabredung«, ruft Thal. Mama Bharat namastiert, dann ist ys die Treppe hinunter, zwängt sich an ein paar Männern in Anzügen vorbei, die ein paar Sekunden zu lange starren. Ys beobachtet, wie sie an sys Tür vorbei und ins nächsthöhere Stockwerk gehen. In der Säulenhalle des Untergeschosses wartet das Taxi, und heute können die Kinder rufen, was sie wollen, ys beleidigen und animalische oder saugende Laute machen, und alles fällt um Thal herum wie Tagetesblütenblätter zu Boden. Auf sys System läuft in dieser Nacht der Nächte STRANGE CLUB, FUGAZI SCHWIMMTANK und – wagt ys es, wagt ys es? – FUCK MIX .
Am Eingang zur Gasse zum Banana Club schiebt Thal den Ärmel hoch und programmiert glückseligschwebenderwartungsvollglimmend ein. Die Proteinchips werden aktiv, als sich die graue Holztür öffnet. Die blinde Vogelfrau im scharlachroten Sari ist da, den Kopf leicht zurückgelegt, Zwergbananen zwischen den Fingern. Es ist, als hätte sie sich seit Thals letztem Besuch nicht von der Stelle bewegt.
»Willkommen, willkommen, du reizendes Wesen! Hier, nimm dir.« Sie bietet ihm das Obst an. Thal schließt behutsam ihre Finger um die Bananen.
»Nein, nicht heute Abend.« Thal zögert, traut sich kaum zu fragen. »Ist jemand ...?«
Die blinde Frau zeigt zur obersten Galerie. Heute ist niemand hier, obwohl der Monat gerade erst begonnen hat. Gerüchte über Krieg und Regen. Unten im zentralen Hof führt ein Neut in einem langen
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