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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McDonald
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wehenden Kleid einen Kathak mit einer Anmut auf, die den klassischen Stil weit hinter sich lässt. Der zweite Stock ist leer bis auf zwei Pärchen, die sich auf den Diwanen miteinander unterhalten. Im dritten Stock stehen lederne Clubsessel und niedrige Tische. Tischlaternen aus Messing verbreiten Glühwurmlicht. Der Chill-Bereich. Hier befindet sich an diesem Abend nur ein einziger Gast. Khan sitzt auf dem Sessel am Ende der Galerie, die Hände symmetrisch auf den Armlehnen, auf jene Weise, die für Thal schon immer eine zeitlose Eleganz hatte. Sehr englisch. Ihre Blicke treffen sich. Thal blinzelt einen Segen. Khan ist so süß, er versteht diese Sprache gar nicht. Thal streicht mit der Hand über das Holzgeländer. Bei der Montage wurde Sandelholz benutzt, das einen Pheromonimprint in Thals Handfläche hinterlässt.
    »Oh, du bist es«, sagt Thal, als ys sich in einem Sessel niederlässt, der im rechten Winkel zu Khan steht. Ys wartet auf ein Lächeln, einen Kuss, irgendeine Begrüßung. Khan zuckt nervös mit einem leisen Grunzen zusammen. Auf dem niedrigen, dickbeinigen Tisch liegt ein weißer Umschlag. Thal zieht sys eigenen Brief hervor, ordentlich zusammengefaltet, und legt ihn neben den Umschlag. Ys schlägt die glatten Beine übereinander.
    »Du könntest mir wenigstens sagen, dass ich umwerfend aussehe«, witzelt Thal.
    Der Mann zuckt zusammen. Das stand nicht in seinem Drehbuch. Er schiebt Thal den Umschlag zu. »Bitte nimm das.«
    Thal zieht die Klappe auf, lugt hinein, kann nicht glauben, was ys sieht, und blickt noch einmal, noch länger und noch fassungsloser hinein. Es ist ein Bündel aus Tausend-Rupien-Scheinen, insgesamt einhundert.
    »Was ist das?«
    »Es ist für dich.«
    »Was, für mich? Das sind ...«
    »Ich weiß.«
    Thal legt den Umschlag wieder auf den Tisch. »Das ist sehr großzügig, aber ich muss ein wenig mehr darüber wissen, bevor ich es annehmen kann. Das ist verdammt viel Geld.«
    Der Mann verzieht das Gesicht. »Ich kann dich nicht wiedersehen.«
    »Was? Liegt es an mir? Was habe ich getan?«
    »Nichts!« Dann leiser und mit Bedauern: »Nichts. Es liegt an mir, ich hätte niemals ... ich kann dich nicht wiedersehen. Ich hätte mich nicht einmal hier mit dir treffen sollen.« Er lacht gequält. »Hier schien es mir am sichersten zu sein ... Nimm es, es ist für dich, bitte nimm es an.«
    Thal weiß, dass sys Mund offensteht. Was ys empfindet, kann es nur mit der Vorstellung vergleichen, wie es ist, wenn das Gehirn gegen die Schädelkapsel klatscht, nachdem man einen Cricketschläger gegen den Kopf bekommen hat. Außerdem spürt ys an der glatten heiligen Haut an sys Hinterkopf, dass noch jemand bei ihnen auf der Galerie im dritten Stock ist, ein Neuankömmling.
    »Du willst mich auszahlen? Du gibst mir eine Crore Rupien und sagst mir, dass du mich nicht wiedersehen willst, dass sich unsere Wege nie mehr kreuzen sollen. Ich weiß, was das ist. Das ist Verschwinde-aus-Varanasi-Geld. Du Mistkerl. Du Mistkerl. Was glaubst du, was ich tun würde? Dich erpressen? Es deiner Frau oder deinem Geliebten erzählen? Die Presse anrufen? Es all meinen perversen Neut-Freunden und -Liebhabern erzählen, weil wir ganz wild aufeinander sind, damit jeder es weiß? Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
    Das Gesicht des Mannes zerknittert vor Qual, aber Thal lässt sich nicht aufhalten. Ys ist voller rotem Zorn. Ys zieht das Geld heraus, springt über den Tisch und zerreißt das verräterische Papier vor Khans Augen. Der Mann hebt die Hände, wendet das Gesicht ab, aber er unternimmt nichts, um sich zu verteidigen.
    »Bleib so, Thal«, sagt eine Stimme. Ein Lichtblitz. Tranh steht am Ende des Tisches, die Beine leicht gespreizt, um einen guten Stand für die Palmerkamera in sys rechter Hand zu haben. »Und noch einmal.« Blitz. Der Mann schlägt die Hände vors Gesicht, sucht nach einem Fluchtweg, aber Tranh hat Rückendeckung von ein paar starken Kerlen in Anzügen. »Ich werde dir sagen, wofür er sich hält, Schätzchen. Er ist Shaheen Badoor Khan, der Parlamentarische Privatsekretär von Sajida Rana. Und das alles tut mir so unendlich leid, mein Hübsches. Es tut mir leid, dass es dich erwischen musste. Es ist nicht persönlich gemeint, bitte glaub mir. Es geht nur um Politik. Um beschissene Politik. Es tut mir so leid, Thal.« Tranh klappt den Palmer zu, zögert, die Hand auf den Mund gedrückt, als wollte ys sich daran hindern, ein Geheimnis zu erbrechen. »Thal, verschwinde aus Varanasi. Das

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