Cyberabad: Roman (German Edition)
ganz nahe. Thal verfällt in einen Dauerlauf, den Mantel trotz der zunehmenden Hitze bis zum Kinn hochgezogen. Jetzt schauen die Leute ys nach. Noch eine Kreuzung. Noch eine Kreuzung. Das stimmlose Getöse bewegt sich erneut, ist nun anscheinend vor ys, dann steigert sich schlagartig die Lautstärke und Heftigkeit. Thal blickt sich um. Sie sind hinter ys. Eine Phalanx aus rennenden Männern in weißen Hemden kommt aus einer Nebenstraße auf die Chaussee. Für einen Moment wird es still. Selbst der Verkehr verstummt. Dann wird Thal von einem gerichteten Gebrüll getroffen, das ihn fast wie ein körperlicher Schlag trifft. Ys stößt ein leises furchtsames Winseln aus, wirft sys blöden, hinderlichen Mantel ab und rennt los. Gejaule und Geheul erhebt sich hinter ys. Die Karsevaks kommen herangesprungen. Nicht mehr weit. Nicht weit. Nicht. Mehr. Weit. Nicht. Weit. Nahe. Nahe. Nahe. Thal katapultiert sich in den Wald aus Säulen, die Krypta des White Fort. Die johlenden Rufe hallen von den Betonpfeilern zurück. Wir kommen näher. Wir sind schnell. Wir sind schneller als du, unnatürliches und perverses Ding. Du bist von Unnatürlichkeit und Laster aufgedunsen. Wir werden dich zertreten, Schnecke. Wir werden hören, wie du unter unseren Füßen zerplatzt. Wurfgeschosse fallen klappernd um Thal herum zu Boden: Dosen, Flaschen, elektronische Bauteile. Und Thal versagt allmählich. Ys verblasst. Ys hat keine Kraft mehr. Die Batterien sind leer. Ladeanzeige auf null. Thal tippt Befehle in sys subdermale Zapfen. Sekunden darauf setzt der Adrenalinstoß ein. Das wird ys später teuer bezahlen müssen. Ys würde jetzt alles bezahlen. Thal entfernt sich von den Jägern. Ys sieht jetzt die Aufzüge. Einer soll da sein, bitte! Ardhanarishvara, Herr der geteilten Wesen, lass einen Lift da sein, einen, der funktioniert. Die Jäger klatschen mit den Händen gegen die öligen Betonsäulen. Wir. Kommen. Um. Dich. Zu. Töten. Wir. Kommen. Um. Dich. Zu. Töten.
Grünes Licht. Grünes Licht ist die Rettung, ist das Leben. Thal stürmt zum grünen Licht des Aufzugs, während die Türen aufgleiten. Ys schlüpft durch den dunklen Schlitz, schlägt auf den Knopf. Die Türen schließen sich. Finger zwängen sich hindurch, tasten nach den Sensoren, den Schaltern, dem Körper, irgendetwas. Zentimeter um Zentimeter drücken sie die Tür auf.
»Da ist er, der Chuutya!«
Ys! Ys! , schreit Thal lautlos, während ys auf die Finger schlägt, mit Fäusten, mit scharfen Stiefelabsätzen. Die Finger zucken zurück. Die Tür schließt sich. Der Aufstieg beginnt. Thal hält zwei Stockwerke zu tief, um sie in die Irre zu führen, wartet, bis sich die Türen geöffnet und wieder geschlossen haben, und fährt dann einen Stock zu hoch. Als ys sich über die Treppe hinunterschleicht, die von den vielen bloßen Füßen glänzt und trotz der Trockenheit nach feuchtem Ammoniak riecht, hört ys ein lauter werdendes Stimmengeplapper. Thal schiebt sich um die Ecke. Sys Nachbarn drängen sich in Mama Bharats offener Tür. Thal wagt sich geduckt einen Schritt näher heran. Alle reden und gestikulieren, einige der Frauen halten sich schockiert den Dupatta vor den Mund. Manche verbeugen sich und wippen im Trauerritual. Männerstimmen übertönen das Geschnatter und Gewimmer, ein Wort hier, ein Satz dort. Ja, die Familie kommt, hat sich sofort auf den Weg gemacht, wer würde eine alte Frau hier ganz allein zurücklassen, schändlich, schändlich, die Polizei wird sie finden.
Noch einen Schritt näher.
Die zertrümmerte Tür zu Mama Bharats Wohnung liegt auf dem Boden. Über die Köpfe der wütenden Männer hinweg kann Thal in das entweihte Zimmer blicken. Wände, Fenster, Gemälde von Göttern und Avataren sind voller Löcher. Thal starrt auf die Löcher und weigert sich, es zu verstehen. Schusslöcher. Ys starrt einen Moment zu lange. Ein Schrei.
»Da ist er!«
Nachbar Paswans missmutige Stimme. Die Menge teilt sich und gibt eine klare Verbindungslinie zwischen Thal und Paswans anklagendem Zeigefinger und den Füßen auf dem Boden frei. Alle Köpfe drehen sich. Ihre Füße stehen in einer Blutlache. Einer Lache aus erschreckendem, frischem, rotem Blut, noch voller Leben und Sauerstoff. Es lockt bereits erste Fliegen an. Die Fliegen sind im Zimmer. Die Fliegen sind in sys Kopf.
Du bist absolut entbehrlich , hat Tranh gesagt.
Die Füße im frischen, öligen Blut. Sie sind immer noch im Gebäude. Ys dreht sich um, rennt wieder.
»Da ist er, das Monster!«, brüllt
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