Cyberabad: Roman (German Edition)
Sturzfluten und Erdrutsche auslösen. Glücklich machender Regen ist für sie etwas Neues. Das Taxi zum Hotel ist über Straßen gefahren, auf denen sich achsentief Flutwasser und schwimmender Müll staute. Die Kühe standen bis zu den Hachsen in der Überschwemmung. Fahrradrikschas pflügten durch die tanzende braune Flüssigkeit und hinterließen eine Spur aus Bierschaum. Sie beobachtete eine Ratte, die vor dem Taxi über die Straße schwamm, den Kopf tapfer erhoben. Als sie heute zwischen den Pfützen zum Landungssteg tapste, sah sie ein kleines Mädchen, das im Backwater schwamm und ein kleines Floß schob, das lediglich aus drei zusammengeschnürten Bambusrohren bestand, auf denen ein verbeulter Metalltopf balancierte. Das Haar des Mädchens klebte am Schädel wie bei einem glatthäutigen Meeressäuger, aber sie strahlte übers ganze Gesicht.
In den CIA -Instruktionen hatte man es versäumt, sie darauf hinzuweisen, dass in Kerala Monsunzeit war.
Lisa Durnau gefällt die Rolle des Regierungsspions ganz und gar nicht. Der Lightbody war kaum in einer Plasmalohe gelandet, als auch schon die Lektionen begonnen hatten. Ihre erste Einsatzbesprechung fand im Bus zum medizinischen Zentrum statt, während sie immer noch unter der Schwäche und den Schmerzen nach der Rückkehr in die Welt der Schwerkraft litt. Sie hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich umzuziehen, bevor man sie abholte und in das Flugzeug nach New York setzte. Am Kennedy Airport erhielt sie in der Limousine zur VIP -Suite Anweisungen über ihre Kontaktpersonen in den Botschaften und die Sicherheitspasswörter. Dort wurde sie in einer Ruhezone im Verwaltungsbereich von einem Mann und einer Frau im korrekten Gebrauch des Navigationsgeräts unterwiesen. Am Gate überreichte man ihr einen kleinen Koffer mit angemessener Kleidung in ihrer Größe. Nach einem ernsten Händedruck wünschte man ihr eine angenehme Reise und eine erfolgreiche Mission. Lisa öffnete den Koffer, während sie mit dem Taxi zum Hotel fuhr. Wie sie befürchtet hatte. Die Ärmel an den T-Shirts waren völlig falsch, und die Unterwäsche war schlicht unaussprechlich. Ganz unten lagen zwei zusammengefaltete schwarze Anzüge. Fast rechnete sie damit, dass Daley Suarez-Martin aus der Minibar stieg. Am nächsten Tag ging Lisa mit ihrer unerschöpflichen schwarzen Kreditkarte zum Basar und füllte den Koffer neu auf, für weniger als den Preis eines Schlüpfers von Abercrombie and Fitch. Einschließlich Regenzeug.
»Ja, es ist ein wunderbarer Anblick«, sagt Dr. Ghotse. Lisa Durnau zuckt zusammen. Sie hat sich von den Regenfingern am Dach hypnotisieren lassen. Er steht da, in jeder Hand eine Tasse Chai. Der Tee ist, wie sie befürchtet hat, aber er hebt tatsächlich ihre Stimmung. Das Boot riecht feucht und vernachlässigt. Die Vorstellung, dass es Thomas Lull hierher verschlagen hat, gefällt ihr nicht. Sie kann sich die Szenerie bei keinem anderen Wetter vorstellen als in diesem endlosen weißen Regen. Sie hat die tantrischen Symbole auf den Dachmatten gesehen und den Namen in Weiß auf dem Bug gelesen: Salve Vagina . Kein Zweifel, dass Thomas Lull hier gewesen ist. Aber sie hat sich vor dem gefürchtet, was sie hier vorfinden würde: Lulls Sachen, Lulls Leben nach ihr, nach Alterre, Lulls neue Welt. Nachdem sie jetzt gesehen hat, wie wenig vorhanden ist, wie ärmlich und spärlich die drei Kokosmattenkabinen eingerichtet sind, verwandelt sich ihre Besorgnis in Melancholie. Es ist, als wäre er gestorben.
Dr. Ghotse bittet sie, auf einem der gepolsterten Diwane Platz zu nehmen, die an den Wänden stehen. Lisa Durnau kämpft sich aus dem Plastikumhang, lässt ihn tropfnass auf den weichen Fasermatten liegen. Der Chai ist gut und sinnlich.
»Oben im schwarzen Norden haben sie deswegen einen Krieg angefangen. Ein unzivilisiertes Volk. Die meisten vom Kastensystem beherrscht. Nun gut, Miss Durnau, was benötigen Sie von meinem guten Freund Thomas Lull?«
Lisa Durnau wird klar, dass es zwei Möglichkeiten gibt, wie sie dieses Gespräch und alle ähnlichen Situationen durchziehen kann. Sie könnte davon ausgehen, dass Lull seinem guten Freund Dr. Ghotse erzählt hat, was er zurückgelassen hat – und wen. Oder sie könnte sich an ihre geheimdienstlichen Anweisungen halten und so tun, als wüsste niemand etwas oder als könnte niemand etwas wissen.
Du bist jetzt in Indien, L. D.
Ein Chip mit Klaviersonaten von Schubert hat sich neben das Sitzkissen verirrt.
»Ich wurde von meiner Regierung
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