Cyberabad: Roman (German Edition)
mitten auf seinem Kopfkissen neben seiner Brieftasche und seiner Universalkarte. Seine Schuhe waren poliert und standen in perfektem rechtem Winkel mit den Zehen an der Bettkante. Seine silberne Haarbürste und der Kamm hatten sich zu ihrem letzten Kuss auf dem Frisiertisch zusammengefunden. Kukunoor, nun der neue Khidmutgar, nachdem der alte Shastri auf Pilgerfahrt gegangen war, hatte Vishram all diese Dinge gezeigt, mit dem gleichen leidenschaftslosen Sinn für entbehrliche Historie, die er in den alten Häusern und Burgen von Schottland erlebt hatte. Er wusste nicht, wohin sein Herr und Meister gegangen war. Ihre Mutter wusste es auch nicht, obwohl Vishram eine geheime Kommunikationsverbindung zur Überwachung seines Vermächtnisses vermutete. Die Firma würde immer seine Firma sein.
»Was willst du mir damit sagen, Ram?«
»Dass es nichts für mich ist.«
»Was willst du, Ram?«
Er spielte mit seiner Gabel. »Govind hat mir ein Angebot gemacht.«
»Er hat keine Zeit verloren.«
»Er hält es für fatal, wenn die Erzeugung von der Verteilung getrennt wird. Die Amerikaner und die Europäer konkurrieren seit Jahren darum, Ray Power in die Hände zu bekommen. Jetzt sind wir geteilt und schwach, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis man mit einem unwiderstehlichen Angebot an einen von uns herantritt.«
»Ich bin mir sicher, dass er sein Anliegen sehr überzeugend vorgetragen hat. Ich frage mich unwillkürlich, woher er das Geld hat, mit dem er seine brüderliche Solidarität bekräftigen will.«
Marianna Fusco hatte ihren Palmer bereits aufgeklappt. »Seine Jahresberichte sind im Handelsregister archiviert, aber seine Gewinne haben sich in fünf aufeinanderfolgenden Quartalen reduziert, und seine Banken werden allmählich nervös. Ich würde sagen, er wird irgendwann in den nächsten Jahren einen vorsorglichen Insolvenzantrag stellen.«
»Wenn es also nicht Govinds Geld ist, musst du dich wohl selber fragen, woher es kommen könnte.«
Ramesh schiebt den Teller mit Kitchiri von sich weg. »Könntest du meinen Anteil kaufen?«
»Govind hat zumindest eine Firma und Kreditwürdigkeit. Ich habe ein Notizbuch mit Witzen und einen Haufen ungeöffneter Briefumschläge mit kleinen Zellophanfenstern.«
»Was können wir machen?«
»Wir werden das Unternehmen führen. Es ist ein starkes Unternehmen. Es ist Ray Power, wir sind damit aufgewachsen, wir kennen es, wie wir dieses Haus kennen. Aber ich werde dir eins sagen, Ram: Ich werde nicht zulassen, dass du mir die Schuld an dem gibst, was geschieht. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich muss mich um meine Angestellten kümmern.«
Marianna Fusco erhob sich mit ihm und nickte Ramesh zu, als sie in die Kühle und Dunkelheit des Hauses traten. Affen sprangen kreischend von den Bäumen, um sich die Reste des Kitchiri zu holen.
Vishram witterte Govind, bevor er sein Abbild im Frisierspiegel sah.
»Weißt du, ich hätte dir Unmengen von anständigem Aftershave aus dem Dutyfree in London mitbringen können. Und du benutzt immer noch dieses Arpal -Zeugs? Hat es irgendwas mit patriotischer Gesinnung zu tun, den Nationalgeruch von Bharat zu verwenden?«
Govind schob sich ins Spiegelbild neben Vishram, während dieser seine Manschetten zurechtzupfte. Guter Anzug. Ich sehe viel besser aus als du, mein Dickerchen.
»Und seit wann spazieren wir einfach herein, ohne anzuklopfen?«, fügte Vishram hinzu.
»Seit wann muss Familie anklopfen?«
»Seit wir alle zu großen Geschäftsleuten geworden sind. Ach übrigens: Ich werde heute Nacht nicht im Haus schlafen. Ich ziehe in ein Hotel um.« Manschetten korrekt. Aufschläge korrekt. Kragen korrekt. Gott segne die chinesischen Schneider. »Und? Wie lautet dein Angebot?«
»Also hat Ramesh schon mit dir gesprochen.«
»Hast du wirklich geglaubt, er würde es nicht tun? Wie ich höre, hast du ein Liquiditätsproblem.«
Unaufgefordert setzte sich Govind auf die Bettkante. Im Spiegel bemerkte Vishram, dass die Füße seines Bruders nicht ganz bis zum Boden reichten.
»Auch wenn es für dich vielleicht schwer zu glauben ist, aber ich versuche nur, die Firma zusammenzuhalten.«
»Du hast recht.«
Vishram hatte ihm immer noch den Rücken zugewandt.
»EnGen hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass man an Ray interessiert ist. Selbst als unser Vater noch Geschäftsführer war, hat man Angebote gemacht. Früher oder später werden sie uns kriegen. Wir haben keine Chance gegen die Amerikaner. Am Ende werden sie uns
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