Cyberabad: Roman (German Edition)
bisher alles ruiniert hat, was man ihm überlassen hat. Ich kenne ihn schon sehr lange. Niemand kann über seinen eigenen Schatten springen. Er wird Sie alle ins Verderben reißen und dieses große Unternehmen vernichten. Hören Sie nicht auf ihn, er weiß gar nichts. Gar nichts!«
»Das tut mir furchtbar leid«, sagt Vishram, nachdem sich die Türen hinter seinem unablässig weiterprotestierenden Bruder geschlossen haben. »Nun gut. Wollen wir fortfahren, oder habe ich schon alles gesehen?«
Es hatte beim Frühstück angefangen.
»Was genau habe ich eigentlich geerbt?«, wollte Vishram von Marianna Fusco wissen, zwischen zwei Gabeln Kitchiri während seiner Frühstücksbesprechung auf dem östlichen Balkon.
»Im Wesentlichen hast du die Forschungs- und Entwicklungsabteilung bekommen.« Sie breitete die Dokumente wie Tarotkarten rund um seinen fettigen Teller aus.
»Also kein Geld und sehr viel Verantwortung.«
»Ich glaube nicht, dass dein Vater das aus einer reinen Laune heraus entschieden hat.«
»Wie viel hast du darüber gewusst?«
»Was, wer, wo und wann.«
»Da fehlt noch ein ›w‹.«
»Ich glaube nicht, dass irgendjemand dieses ›w‹ versteht.«
Ich verstehe es, dachte Vishram. Ich weiß, wie gut es ist, Erwartungen und Verpflichtungen hinter sich zu lassen. Ich weiß, wie beängstigend und befreiend es ist, nur mit einer Bettlerschale hinauszugehen und sich dem Risiko auszusetzen, ausgelacht zu werden.
»Du hättest es mir sagen können.«
»Und meine professionelle Schweigepflicht brechen?«
»Du bist eine kalte, knallharte Frau, Marianna Fusco.«
Er schaufelte eine weitere Ladung Kitchiri in sich hinein. Ramesh tauchte zwischen den geometrisch angepflanzten englischen Rosen auf, die im dritten Jahr in der trockenen Fremde zerknittert und verwelkt waren. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, eine Haltung, die genauso altehrwürdig und vertraut war wie jedes andere Detail an Shanker Mahal. Mit sechs Jahren hatte sich Vishram über seinen älteren Bruder lustig gemacht, die Hände hinter dem Rücken, die Lippen in abstrakter Konzentration zusammengekniffen, den Blick erhoben, auf der Suche nach den Wundern der Welt.
Und was war mit diesen Reisen nach Ostasien?, fragte er sich. Zu den Bangkok-Mädchen, die alles tun und sein konnten, was man sich vorstellte. Er spürte eine leise Regung unterhalb seines Nabels, eine hormonelle Zuckung. Aber das wäre zu einfach. Es war keine Jagd, kein Spiel, kein Ausreizen des Willens und der Phantasie, kein unausgesprochener Vertrag der gegenseitigen Anerkennung, dass sich beide auf ein Spiel mit allen Tricks, Zügen und Regeln einließen. Ein warmer Windhauch mit den Gerüchen der Stadt zerrte an den geschäftlichen Dokumenten. Vishram verteilte Tassen und Untertassen und Besteck, damit sie blieben, wo sie waren. Ramesh, der versucht hatte, an den vertrockneten Rosen zu schnuppern, blickte auf, als der warme Hauch über sein Gesicht strich, und war ehrlich überrascht, seinen kleinen Bruder und seine Anwältin auf der Terrasse zu erblicken.
»Ach, da bist du ja. Ich hatte die leise Hoffnung, dich zu finden.«
»Miserablen Kaffee?«
»Oh, bitte, ja. Und gibt es vielleicht auch noch etwas von dem da?«
Vishram nickte dem Diener zu. Wunderbar, wie schnell man sich wieder daran gewöhnte, bedient zu werden. Ramesh stocherte mit der Gabel in seinem Teller mit Kitchiri herum. »Warum hat er es mir gegeben?«, fragte er unvermittelt. »Ich wollte es nie, ich verstehe es nicht einmal. Das war noch nie meine Sache. Govind war immer derjenige mit einem Sinn fürs Geschäftliche. Er ist es immer noch. Ich bin Astrophysiker, ich kenne mich mit organischen Molekülwolken im Weltraum aus. Ich verstehe nichts von Stromerzeugung.«
Die Aufteilung war sehr clever, geradezu shakespearisch. Ramesh hätte sich die Entrücktheit der visionären Forschung gewünscht. Bekommen hatte er die solide Generatorenabteilung. Govinds Ambitionen zielten auf das Herzstück der Infrastruktur. Stattdessen hatte man ihm die Verantwortung für das Verteilungsnetz überlassen. Drähte und Kabel und Masten. Und Sohn Nummer drei, der Aufmerksamkeitssucher, der Tittengrabscher, hatte mit so obskuren Dingen zu tun, dass er gar nicht wusste, was man damit überhaupt machen konnte. Besetzung gegen den Typus. Böser alter Sadhu.
Der alte Mann war vor Sonnenaufgang aufgebrochen. Seine Kleidung war ordentlich auf die Bügel der Garderobe gehängt. Sein Palmer und Hoek lagen
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