CyberCrime
zu der Wohnung im Plimsoll Way in der Nachbarstadt Hull, wo der Verdächtige wohnte. Die Adresse lag in einer Siedlung, die im Rahmen einer Hafengebietssanierung errichtet worden war und jetzt die ersten Abnutzungserscheinungen zeigte. Die beigefarbene Fassade trug graue Wasserflecken, und aus dem Putz wuchsen Rostflecken wie Pocken heraus. Es war ein treffendes Symbol für das Großbritannien von New Labour: äußerlich hübsch und hell, aber nicht mehr in der Lage, das verrottete Innere am Durchbruch durch die Oberfläche zu hindern.
Die Zimmer trugen alle Kennzeichen einer Junggesellenwohnung. Sie war keineswegs ein Schweinestall, aber verschiedene Gegenstände lagen herum. »Da fehlt eine weibliche Hand«, grübelte Dawson. Im Schlafzimmer wurde der Beamte fündig. Auf dem Bett lagen zwei Laptops, von denen einer noch lief. Obenauf lag ein großer Stapel von Dokumenten, darunter unzählige Quittungen von Western Union, die Zahlungsverkehr mit der ganzen Welt bestätigten: Neuseeland, Mexiko, die Vereinigten Arabischen Emirate, die Ukraine – alles Mögliche.
Diese Dateien und Dokumente zu kennen, war schön und gut, aber wie wir wissen, konnte Dawson nur dann einen Vorwurf erheben, wenn er ein ganz bestimmtes Verbrechen belegen konnte. Als er nach einem großen Papierstapel griff, fiel ein einzelnes Blatt heraus und flatterte auf den Fußboden. In den folgenden Monaten sollte Dawson noch oft über diesen glücklichen Zufall nachdenken. Auf dem Blatt standen Einzelheiten über einen Mann, der irgendwo in West Yorkshire wohnte, inklusive seiner sämtlichen Bankkontonummern. Nachdem Dawson die Angaben studiert hatte, wurde ihm klar, dass dies der entscheidende Beweis sein konnte, denn auf dem Blatt stand auch ein Passwort. Wenn er beweisen konnte, dass diese Person nie ihr Passwort weitergegeben hatte, besaß er ein schlagendes Argument. Deshalb war der DS Dawson so erpicht darauf, mit dem Reverend Andrew Arun John zu sprechen. Wenn John die Vermutung bestätigte, konnte Dawson dem Verdächtigen ein einzelnes Verbrechen des Online-Betruges zur Last legen, und dann würde ein Richter so gut wie sicher eine Freilassung gegen Kaution ablehnen. Anschließend konnte Dawson sich an die Herkulesaufgabe machen, den Berg von Dokumenten zu durchforsten.
Als Detective Sergeant Dawson gerade die Hoffnung aufgeben wollte, klingelte das Telefon. Es war Reverend John.
3 Mr. Hyde aus Lagos
Im Jahr 2003 machte Adewale Taiwo an der Universität Lagos seinen Bachelor of Science in Chemietechnik. Der hochgewachsene, aparte Sohn eines Universitätsdozenten und einer Beamtin war zu einem wortgewandten, bedächtigen jungen Mann herangewachsen und hatte in Industrie oder Wissenschaft eine vielversprechende Zukunft vor sich. Die Familie war nach nigerianischen Maßstäben wohlhabend und hatte Verwandte in London, die Adewale unterstützten, als er Möglichkeiten sondierte, seine Ausbildung in Großbritannien fortzusetzen.
Im gleichen Jahr erschuf er auch sein Alter Ego: Fred Brown aus Oldham in Lancashire. Adewale war zwar noch nie in England gewesen, er entschloss sich aber schon im Vorhinein, diesen regelrechten Mr. Hyde der Cyberwelt zu schaffen. Und Fred Brown gründete die Yahoo-Newsgroup zum Bankenbetrug.
Wenig später schaltete Fred Brown im Internet auch Werbeanzeigen. Dazu nutzte er Sites wie Hacker Magazine , Alt 2600 oder UK Finance :
Gelegenheit: Geschäftstätigkeit und Partnerschaft für Mitarbeiter von Banken an der High Street und für Angehörige oder Freunde von Bankmitarbeitern. Bei den Banken handelt es sich insbesondere um HSBC und Royal Bank of Scotland, andere kommen aber ebenfalls infrage. Bewerbungen bitte an Fred B. Brown über Yahoo, ICQ oder Safemail.
Die Kurznachrichtenprogramme ICQ (abgeleitet von »I seek you«) und das ältere IRC (Internet Relay Chat) sind bei Hackern oder Crackern, wie kriminelle Hacker manchmal genannt werden, beliebte Hilfsmittel. Man kann damit durch Sofortnachrichten mit einer oder mehreren Personen chatten. Was dabei für Hacker wichtig ist: Die Chats sind »dynamisch«, das heißt, sie hinterlassen keine Spuren der mit ihnen geführten Gespräche, es sei denn, jemand speichert ganz bewusst den Austausch. »Safemail« ist ein System für verschlüsselte Mails, das nicht geknackt werden kann – es sei denn, man kann ein israelisches Gericht dazu bewegen, die gewünschten Informationen unter Strafandrohung anzufordern: Das Unternehmen, das die Website besitzt und betreibt, hat
Weitere Kostenlose Bücher