Cyclop
einem Seitenflügel des Universitätshospitals gelandet und hatte exakt und genau die einzigen drei Betten getroffen, die in dem vierzig Betten fassenden Schlafsaal unbelegt gewesen waren. Die Geschichte wurde später oft als eines der vielen kleinen Wunder erzählt, die sich an diesem Tag sonst noch zugetragen hatten – als großer Bonus für die katholische Kirche und Rückschlag für den Marxismus …
Hilfs- und Rettungskommandos begannen sich zu formieren, als sich die Feuerwehren und die Polizei am Hafen an die Arbeit machten. Armee-Einheiten wurden ebenfalls herbeigerufen.
Anfangs herrschte nur Panik im großen Chaos.
Das Militär kümmerte sich in dem Glauben, es finde eine Invasion der Amerikaner statt, weniger um Hilfsmaßnahmen und Katastrophendienste als vielmehr um die Küstenstellungen.
Verwundete schien es einfach überall zu geben. Viele schrien in Schmerzen, die anderen humpelten oder schleppten sich von dem brennenden Hafen fort.
Mit dem Verebben der Flutwelle klang auch das erdbebenartige Schütteln und Donnern ab.
Die Decke in der einstigen Sloppy Joe’s Bar war zwar eingestürzt, aber die Wände standen wie durch ein Wunder noch immer. Der Rest war allerdings die reine Verwüstung.
Holzbalken lagen überall, Gips und Verputz waren abgefallen, Möbelstücke waren umgestürzt, und eine dicke Staubschicht bedeckte die vielen leeren zerbrochenen Flaschen auf dem Boden. Die Schwingtür war aus den Angeln gerissen worden und lag seltsam verquer über Castros Leibwächtern, die stöhnend unter einem kleinen Berg von Mauerstücken begraben waren.
Ira Hagen kam mühsam und schmerzhaft wieder auf die Beine und schüttelte seinen Kopf, um das Sausen und Klingen zu vertreiben, das darin dröhnte. Er rieb sich die Augen, um die Staubwolke zu durchdringen, die den ganzen Raum erfüllte, und suchte Halt an einer Wand, an die er sich lehnte. Er sah nach oben durch das Loch, an dessen Stelle die Decke gewesen war. An der Wand im Raum des Oberstockes hingen noch immer die Bilder.
Sein erster Gedanke galt Jessie. Sie war halb unter dem Tisch begraben, der sich noch immer in der Mitte des Raumes befand. Sie lag verkrümmt und zerschunden da. Er kniete sich zu ihr nieder und drehte sie herum.
Sie rührte sich nicht. Kein Lebenszeichen war erkennbar. Eine Schicht weißen Deckengipses bedeckte sie. Aber sie blutete nicht und hatte auch keine sichtbaren Verletzungen. Ihre Augen waren halbgeöffnet. Dann stöhnte sie leise. Hagen lächelte erleichtert und zog seine Jacke aus, faltete sie und legte sie ihr unter den Kopf.
Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fester, als er es für möglich gehalten hätte, während sie zu ihm emporblickte. »Dirk ist tot«, flüsterte sie.
»Er kann überlebt haben«, flüsterte Hagen sanft, aber es war keine rechte Überzeugungskraft in seinen Worten.
»Dirk ist tot«, wiederholte sie.
»Nicht bewegen«, sagte er. »Bleiben Sie ganz ruhig liegen. Ich sehe nach den Castros.«
Er erhob sich schwankend und begann unter der Schuttschicht zu suchen. Von links vernahm er pfeifendes Keuchen. Er kletterte über die Trümmer, bis er gegen die alte Bartheke stieß.
Raul Castro hielt sich an ihr mit beiden Händen fest, benommen und im Zustand des Schocks.
Er versuchte sich den Staub aus der Kehle zu husten. Aus seiner Nase tropfte Blut, und am Kinn hatte er eine große Schnittwunde.
Hagen war fassungslos darüber, wie weit sie jetzt alle auseinanderlagen, wo sie zuvor doch so eng nebeneinander gesessen waren. Er stellte einen umgestürzten Stuhl auf und half Raul Castro, sich darauf zu setzen.
»Alles in Ordnung, Senor?« fragte er mit echter Besorgnis.
Castro nickte schwach. »Ja, ja. Wo ist Fidel? Fidel?«
»Bleiben Sie ruhig sitzen. Ich suche ihn schon.«
Er arbeitete sich durch den Schutt, bis er Fidel Castro fand. Er lag auf dem Bauch, seitlich verdreht und gekrümmt, einen Arm unter der hochstehenden Schulter. Hagen besah sich das ungewöhnliche Bild zu seinen Füßen.
Castros Augen blickten starr auf ein Gesicht ganz nahe neben dem seinen. General Velikow lag mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken. Ein herabgestürzter Balken hatte ihm die Beine zerschmettert. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Verachtung und Verständnis. Er starrte seinerseits in Castros Augen mit dem bitteren Blick des Bewußtseins der Niederlage.
Castros Ausdruck zeigte keinerlei Emotion. Der Staub, der sein Gesicht bedeckte, ließ ihn wie eine Marmorstatue aussehen.
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