Cypherpunks
Beweggründe, mich mit Kryptosystemen zu beschäftigen. Das von mir entwickelte kryptografische Archivsystem namens M.A.I.D. war eine Reaktion auf Entwicklungen wie die Ausweitung der Ermittlungsvollmachten in Großbritannien, wo der Staat mit dem Regulation of Investigatory Powers Act im Grunde entschieden hat, Kryptografie mit repressiven Mitteln zu bekämpfen und die Herausgabe von Passwörtern zu erzwingen. 77 Natürlich war in Julians Fall, als sie ihr Archivsystem entwickelten, der Grund, dass repressive Regime Leute folterten, um ein Passwort herauszubekommen, und man in der Lage sein musste, verschiedene Passwörter anzugeben, um die Folterknechte zufriedenzustellen. Mein Kryptosystem M.A.I.D. ist für ein Rechtssystem ausgelegt, wo der Beklagte das Recht hat, zu schweigen, aber, falls er dazu gezwungen wird, beweisen kann, dass er die Wahrheit sagt, ohne die Vertraulichkeit zu verletzen. Mir war, als ich Julians Arbeit gesehen habe, klar geworden, dass man mit dem Einsatz von Technologie einfachen Menschen die Macht geben kann, die Welt zu verändern. Geht man weit, ganz weit zurück, zu der alten Cypherpunk-Mailingliste mit Tim May, einem ihrer Gründer, und liest Julians alte Postings aus der Cypherpunk-Liste, dann sieht man, was eine ganze Generation wirklich radikalisiert hat. Weil den Leuten daran klar geworden ist, dass sie nicht länger vereinzelt waren, dass sie sich ein bisschen Zeit nehmen und Software schreiben konnten, die Millionen von Menschen Macht gibt. 78
Es gab nur ein paar unbeabsichtigte Folgen, wie es sich dann weiterentwickelte, denn die Leute, die Google geschaffen haben, wollten ursprünglich gar nicht die größte Überwachungsmaschine bauen, die es je gegeben hat. Doch im Endeffekt ist es genau das, was sie getan haben, und sobald den Leuten das dämmert, fangen sie an, die Aufforderungen zur Herausgabe der Daten zu verschicken, stimmt’s?
JÉRÉMIE: Ich glaube, du hast gerade drei entscheidende Punkte erwähnt.
JACOB: Nur drei?
JÉRÉMIE: Unter anderen.
ANDY: O.K., darf ich vielleicht einen vierten hinzufügen?
JACOB: Du weißt ja noch nicht mal, welche es sind.
JÉRÉMIE: Ich sehe drei Punkte, die miteinander verschränkt sind. Ich sage nicht, dass man sie getrennt voneinander betrachten sollte. Einer betrifft autoritäre Regime und die Macht, die sie in einer Ära digitaler Technologien haben. Im Fall des Regimes von Ben Ali – es ist heute bei so vielen Regimes augenfällig – entscheiden die Herrschenden, was die Leute erfahren oder mit wem sie kommunizieren. Das ist eine ungeheure Macht, die bekämpft werden sollte, und das Internet – ein freies Internet – ist ein Werkzeug, um das zu tun. Ein anderer Punkt ist die Schaffung von Werkzeugen und besserer Technologie – Technologie, die um Probleme wie Zensur herumrouten kann, aber im Wesentlichen Tools schafft, die Teil dieser Infrastruktur sind, die hilft, Diktatoren zu stürzen. Und noch ein weiteresThema ist die politische Erzählung, die du mit der Erwähnung der vier infokalyptischen Reiter angeschnitten hast, die Vorwände, die jeden Tag von Politikern über die Medien benutzt werden: »Wir werden noch alle durch den Terrorismus umkommen, daher brauchen wir einen PATRIOT Act«; »Kinderschänder sind überall«; »Es gibt überall im Internet Pädo-Nazis, deshalb brauchen wir Zensur.«
JACOB: Pädo-Nazis?
JÉRÉMIE: Pädo-Nazis, ja: www.pedonazi.com ist schon reserviert. »Künstler werden aussterben, es wird kein Kino mehr geben, deshalb müssen wir Hollywood die Macht zur Zensur des Internets verleihen« und so weiter. Ich glaube, auch hier ist das Internet wieder ein Werkzeug, ein Gegenmittel zu den Geschichten, die uns die Politik erzählt. Diese Geschichten wirken durch Emotionalität und einen medialen Zeitrahmen von extrem kurzer Spanne: Informationen tauchen auf, sie verschwinden binnen 24 Stunden wieder und werden durch neue Informationen ersetzt. Beim Internet habe ich das Gefühl, dass wir etwas schaffen, was ich Internetzeit nenne. Weil das große Internet niemals vergisst, können wir über Jahre hinweg Dossiers anlegen, Tag für Tag, und wir können zusammenarbeiten, wir können analysieren. Das ist es, was wir in den letzten drei Jahren mit ACTA getan haben. Wieder einmal war WikiLeaks ein Vorbild für uns, weil die erste Fassung von ACTA 2008 an WikiLeaks durchgesickert ist. 79
JULIAN: Ja, das haben wir aufgegriffen.
JÉRÉMIE: Und wir haben selbst zwei Fassungen durchsickern lassen. Es
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