Cypherpunks
(Anti-Counterfeiting Trade Agreement) ist ein multilateraler Vertragsentwurf, der die Vorlage für SOPA und PIPA liefert. 75 Ich komme gerade vom Europäischen Parlament zurück, wo wir als Einzelpersonen, alsbärtige, übelriechende Individuen, einem Parlamentsausschuss diktiert haben. Wir haben ihnen Artikel in den Verfahrensregeln des EU-Parlaments gezeigt, die sie anscheinend zum ersten Mal gesehen haben, und haben ihnen gesagt, wie sie sich verhalten sollen. Es ist zu einer Abstimmung gekommen, die wir mit 21 zu fünf Stimmen gewonnen haben und die den britischen Berichterstatter 76 komplett an den Rand gedrängt hat. Dies ist ein sehr kleiner Teil eines sehr kleinen Verfahrenspunktes auf dem Weg zur Verhinderung von ACTA, dieses monströsen globalen Abkommens, das hinter unseren Rücken ausgeheckt worden ist, um die Demokratie selbst zu umschiffen. Aber wir können als Bürger dieses Monster zur Strecke bringen – leicht, mit den Internet-Tools, den Mailinglisten, den Wikis, den Internet Relay Chatrooms und so weiter –, und ich glaube, dass wir womöglich das Erwachsenwerden, die Jugendjahre des Internets erleben und wie es von der Gesellschaft als Ganzes genutzt werden kann, um Veränderungen zu bewirken. Ich halte es für enorm wichtig, dass wir Hacker mit unserem technischen Wissen bereitstehen, um die Leute anzuleiten und ihnen zu vermitteln: »Ihr solltet diese Technologie nutzen, die euch Kontrolle über eure Privatsphäre ermöglicht, statt Facebook oder Google.« Und wir sollten dafür sorgen, dass beide gut zusammenspielen – oder gut zusammenspielen können. Da steckt ein klein wenig Optimismus drin.
JULIAN: Jake, was die politische Radikalisierung der Internetjugend angeht, da bist du doch in den letzten beiden Jahren überall auf der Welt gewesen und hast über Tor gesprochen, mit Leuten, die Anonymität möchten und Schutz der Privatsphäre gegenüber ihren eigenen Regierungen, da musst du dieses Phänomen doch in einer Menge verschiedener Länder gesehen haben. Fällt es ins Gewicht?
JACOB: Klar. Ich glaube, es ist absolut bedeutsam. Das inzwischen klassische Beispiel, das mir sofort in den Sinn kommt, ist Tunesien. Ich bin nach dem Sturz von Ben Alis Regime nach Tunesien gereist und habe in einem computerwissenschaftlichen Kurs, in dem ein paar technisch sehr versierte Leute von der Universität saßen, über Tor gesprochen. Da hat eine Teilnehmerin die Hand gehoben und gefragt: »Aber was ist mit den Kriminellen?«, und dann hat sie die vier infokalyptischen Reiter heruntergeleiert – Geldwäsche, Drogen, Terrorismus und Kinderpornografie. »Was ist mit den Bösen?« Diese vier Schreckgespenster werden immer hervorgezogen und benutzt, um Technologien abzuschießen, die die Privatsphäre schützen, weil wir natürlich diese vier Gruppen ausschalten müssen. Daher habe ich den Kurs gefragt: »Wer von euch hat je die Seite Ammar 404 gesehen?«. Das war die Zensurseite des Ben Ali-Regimes vor und während der Revolution, um den Zugang zu blockieren. Bis auf den Fragenden selbst hat jeder einzelne im Raum, einschließlich des Kursleiters, seine Hand gehoben. Dann frage ich die Studentin, die diese Frage gestellt hatte. »Schau dir all die Leute im Raum an. Das sind alle deine Kommilitonen. Glaubst du wirklich, dass es sich lohnt, jeden Einzelnen hier zu unterdrücken, um diese vier Gefahren zu bekämpfen?« – »Ich gehöre ja auch dazu«, hat sie geantwortet.
Es war schon ein bisschen zäher zu vermitteln, aber wenn man den Leuten einen konkreten Bezug gibt, begreifen sie im Wesentlichen, was wirklich auf dem Spiel steht. Das verändert vieles dramatisch. Und es geschieht ständig, überall auf der Welt – aber der Groschen fällt gewöhnlich später, das heißt, die Leute erkennen im Rückblick, dass sie die Technologie hätten nutzen können, ihnen wird im Nachhinein klar: »Tja, sieht so aus, dass es nicht nur die Kriminellen sind, denn tatsächlich bin ich der Übeltäter, wenn ich offen meine Meinung über etwassage und einem Mächtigen gefällt es nicht, was ich über ihn zu sagen habe.« Dann siehst du, dass die Leute aufwachen.
Aber es stimmt nicht, dass es erst in den letzten paar Jahren passiert ist. Tut mir leid, dir das umhängen zu müssen, Julian, aber du bist Teil der Radikalisierung meiner Generation. Ich bin so was wie die dritte Cypherpunk-Generation, wenn man so will. Die Arbeit, die du und Ralf Weinmann mit dem Archivsystem Rubberhose geleistet habt, war einer der
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