Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
es sich um einen Patienten, bei dem der Hausarzt ein Burnout diagnostiziert und ihm einen Kurklinik aufenthalt empfohlen hatte. Dort hatte er unter anderem auch regelmäßige Gespräche mit einer Psychotherapeutin, die dem Patienten riet, die Behandlung bei einem ihrer Kollegen in seinem Heimatort fortzusetzen.
Und da sitzt er nun. Doch, ja, die Gespräche in der Klinik hätten ihm schon gutgetan, meint er. Dennoch ist ihm anzumerken: So ganz ist er noch nicht davon überzeugt, was eine Psychotherapie ihm bringen soll. Schnell kommt die Rede auf das, was ihn am meisten belastet. Es ist das Verhalten seines Chefs, das so an ihm nagt. Absolut unfähig zur Personalführung ist der, und dafür hat der Patient tausend Beispiele. Darüber könnte er sich immer wieder aufregen, auch wenn Kollegen oder die Ehefrau ständig raten, man solle den ollen Stinker doch nicht so ernst nehmen.
Die Psychotherapeutin in der Klinik kam in dem Zusammenhang auch auf den Vater des Patienten zu sprechen. Gutmütig, wie er ist, hat er sich darauf eingelassen. Er weiß ja, dass viele Psychotherapeuten in dieser Beziehung eine gewisse, für ihn nicht ganz nachvollziehbare Vorliebe haben.
Möglicherweise beendet dieser Patient irgendwann die Behandlung und hat noch immer nicht begriffen, wofür die Stunden, in denen man über Papa gesprochen hat, gut gewesen sein sollen. Aber seine Psyche hat es verstanden.
Die Beschäftigung mit den frühen Erlebnissen hat den Sinn, ihr beizubringen, alte und neue Konflikte auseinanderzuhalten. Zu Beginn ist das alles ein furchtbarer Mischmasch, was es dem Patienten so schwermacht, eine Lösung zu finden. Dass er das nicht kann, weil mit dem aktuellen Konflikt untrennbar ein alter verbunden ist – auf die Idee wäre er nie gekommen. Zumal er felsenfest davon überzeugt ist, eine stinknormale Kindheit gehabt zu haben, die weit, weit hinter ihm liegt.
Er kann sich nicht erklären, warum manches ihn so viel mehr aufregt als andere Menschen, ihm mehr zu schaffen macht, ihn trauriger oder wütender macht. Dennoch führen diese Tatsachen dazu, dass er sich möglicherweise am Arbeitsplatz oder auch in der Partnerschaft nicht so verhält, wie es ihm dienlich wäre. Wenn er sich die lebensgeschichtlichen Ursachen noch einmal ansieht, die dem zugrunde liegen, ermöglicht das der Psyche, in den entsprechenden Situationen den alten Anteil sozusagen zu subtrahieren. Manchmal geschieht das bewusst, meist jedoch unbewusst.
Der Therapeut lenkt die Aufmerksamkeit des Patienten auf die alten Wunden, die noch einmal geöffnet werden und jetzt besser heilen können. Der Patient kann erkennen, dass er sich von seinem Vater nie anerkannt gefühlt hat. Und – was vielleicht noch wichtiger ist – er kann begreifen, dass das absolut nichts mit ihm zu tun hatte, sondern mit der eigenen Geschichte des Vaters. Und dass er, der Patient, nicht schuld ist. Und auch nicht unfähig.
Wenn in Zukunft der Chef wieder einmal Verhaltensweisen an den Tag legt, die im Kellergeschoss stets Papa-Alarm ausgelöst haben, wird das Unbewusste nun heimlich und unbemerkt den Teil abziehen, der mit dem Vater zu tun hat. Der Patient fühlt sich nicht mehr ganz so gekränkt, wenn der Chef schlechte Laune hat. Weil der Teil erledigt ist, der dazu führte, dass der Patient sich dann ganz klein und wie ein beschämter Bub fühlte. Er wird den Chef nicht mehr mit unbewussten Wünschen nach Anerkennung überfrachten, sondern ihn als das sehen, was er ist: ein häufig schlecht gelaunter Mensch, der unfähig ist zu loben und der – wie viele Chefs – mit seiner Position heillos überfordert ist.
Der Patient kann beschließen, damit zu leben, oder seine Konsequenzen daraus ziehen. Vielleicht kann er auch endlich kündigen, anstatt erstarrt wie ein Kaninchen vor der Schlange darauf zu hoffen, dass der Chef endlich fertigbringt, wozu der Vater nicht fähig war. Er wird sich immer noch aufregen über den Chef. Aber auch nicht mehr als die Kollegen.
Manche Patienten glauben, schon genau zu wissen, wo bei ihnen das Problem liegt. Sie schaffen es bloß nicht, es zu lösen. Sich von einem Partner zu trennen, mit dem es ihnen nicht gutgeht. Sich, obwohl sie erwachsen sind, nicht mehr alles von ihren Eltern gefallen zu lassen. Ihr Kind nicht ständig anzuschreien.
Ich weiß doch ganz genau, was ich ändern müsste , sagen sie. Warum bin ich zu doof, es umzusetzen ?
Dass das nicht so einfach geht, ist kein Zeichen für Dummheit, sondern eher dafür, wie schlau
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