Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
fünfzig Minuten ein paar Augenblicke des Verschnaufens, bevor der Nächste kommt. Er muss sich Notizen machen, muss sich auf den nächsten Patienten vorbereiten, vielleicht ein paar Schlucke Tee trinken, vielleicht aufs Klo gehen. Höchstwahrscheinlich sogar alles zusammen. Und das innerhalb von zehn Minuten.
Wenn er auch nach etlichen Jahren Berufstätigkeit noch Spaß an seinem Job haben und nicht ausgebrannt sein will, muss er für sich sorgen. Außerdem wird der Therapeut irgendwann sauer auf den Patienten, wenn er immer wieder zulässt, dass über seine Grenzen gegangen wird. Und Therapeutenwut hat in der Therapie nichts zu suchen.
Jeder Mensch, ob klein oder groß, will tun dürfen, was auch immer ihm in den Sinn kommt. Zugleich möchte er aber das Gefühl haben, dass es anderen nicht gleichgültig ist, was er tut. Genauso ist es in der Psychotherapie. Wie soll der Therapeut mit dem fertig werden, was dem Patienten beängstigend und unüberwindlich groß scheint, wenn er nicht einmal mit ihm fertig wird? Und wie soll er ihm helfen, sich besser vor Überforderung zu schützen, wenn er es selbst nicht fertigbringt?
Manchmal braucht man ein bisschen Zeit, um warmzulaufen, und wichtige Dinge fallen einem erst kurz vor Ende der Sitzung ein, werden Sie einwenden.
In unseren Ausbildungsgruppen hatten wir nicht immer nur brave und folgsame Kollegen sitzen. Manche verstießen auch gegen unsere Empfehlungen und beichteten uns später, sie seien tatsächlich davon ausgegangen, manche Patienten bräuchten nun mal etwas länger, um in Gang zu kommen. Und sie hätten diesen Patienten Doppelstunden gegeben.
Gut, die Kollegen waren noch in der Ausbildung und konnten sich solche Experimente leisten. Später geht das nicht mehr. Doppelstunden zahlt die Kasse nicht, mit wenigen Ausnahmen. Basta. Die Kollegen mussten die Erfahrung machen, dass die Patienten dann eben erst kurz vor Ablauf der doppelten Zeit auf die wichtigen Sachen zu sprechen kamen.
Ich nehme an, das Phänomen des Spät-in-die-Gänge-kommenden-Patienten ist eine Mischung des kindlichen »Noch einen Keks, noch eine Geschichte«, mit dem Kinder verhindern wollen, ins Bett zu müssen (oder im Fall der Patienten, die Praxis verlassen zu müssen), und einer unbewussten Angst vor dem, was eigentlich dringend angegangen werden müsste. Dann muss der Therapeut diese Angst des Patienten ansprechen, anstatt zu versuchen, ihn dadurch auszutricksen, dass er die Stunden verlängert. Sonst wird das nur dazu führen, dass während der Stunden bald gar nichts mehr passiert.
Wer dem Patienten den Eindruck vermittelt, ihm stehe unbegrenzt Zeit zur Verfügung, belügt ihn. Die Anzahl der Stunden, die von der Kasse bezahlt werden, ist begrenzt. Lebenszeit ist begrenzt. Ein Patient, der regelmäßig kurz vor dem Ende der Stunde in Tränen ausbricht, sorgt nicht gut für sich. Ich kann ihm nicht beibringen, das zu tun, indem ich die Sitzungen verlängere. Im Gegenteil: Ich nehme ihm die Möglichkeit, zu wachsen, wenn ich ihm die Verantwortung für sich abnehme.
Hilfe, der Patient verändert sich!
Stellen wir uns eine Therapie vor, die schon geraume Zeit läuft. Der Patient geht regelmäßig zu den Sitzungen, er ist zufrieden, und er stellt fest: Es tut sich was.
Spätestens jetzt wird sich ihm die Frage stellen: Soll ich zu Hause erzählen, was in der Psychotherapie passiert?
Natürlich ist der Partner erst einmal misstrauisch – vor allem, wenn er den Verdacht hat, dass es in der Therapie auch um Partnerschaftskonflikte geht. Man muss schon ein extrem gefestigter Mensch sein, um in einer solchen Situation nicht misstrauisch zu sein. Die wenigsten werden über genug Gelassenheit verfügen, um sagen zu können: Mach du mal, auch wenn ich keine Ahnung habe, wohin du dich entwickeln wirst. Hauptsache, es tut dir gut.
Da taucht eher der Gedanke auf: Meine Frau redet mit einem wildfremden Menschen über uns! Über mich! Vergessen wir an dieser Stelle nicht, was ich bereits anfangs angesprochen habe: Viele Menschen stehen der ganzen Psychotherapiegeschichte und ihren Vertretern eher misstrauisch gegenüber. Somit natürlich auch die Angehörigen der Patienten.
Ganz gleich, ob die Patienten mit strahlenden Augen nach Hause kommen, um ihre neu gewonnenen Erkenntnisse sofort an den Mann zu bringen, oder ob sie das, was ich gesagt habe, als Munition im häuslichen Streit verwenden (»Meine Therapeutin hat auch gemeint …«), all das wird den Partner in seinem Misstrauen eher
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