Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
die Psyche ist. Wie ein störrischer Esel bleibt sie stehen, anstatt zu tun, was man von ihr erwartet. Sie möchte darauf hinweisen, dass da noch etwas Unbewusstes ist, das erst verstanden werden will. Hier wird es darum gehen, mit dem Patienten zusammen in den besagten Keller hinabzusteigen und nachzusehen, ob dort etwas verborgen ist, das ihn daran hindert, zu tun, was er doch eigentlich als das Richtige und fürs Wohlbefinden Gedeihliche erkannt hat.
Häufig jedoch kommen Patienten mit Symptomen, die erst einmal gar keinen Aufschluss darüber geben, welche Ursache sie haben. Schwierig wird es unter Umständen, wenn diese Menschen glauben, sie wüssten genau, was ihnen fehlt, ihr Problem in Wahrheit aber ein völlig anderes ist.
Schauen wir uns ein Stückchen einer Sitzung mit einer solchen Patientin an. Sie weiß, was ihr das Leben schwermacht. Es ist die Tatsache, dass sie sich nicht durchsetzen kann. Es gelingt ihr einfach nicht, sich Gehör zu verschaffen, wahrscheinlich, weil es ihr an Selbstbewusstsein mangelt.
Kein Problem, das müsste zu schaffen sein, denkt der Therapeut, schließlich hat er Menschen mit ähnlichen Problemen jeden Tag in seiner Praxis. Die ganze Sitzung lang berichtet die Patientin von Situationen, in denen sie mit Menschen in Auseinandersetzungen gerät, mit Freundinnen, mit der Chefin, und wo es ihr nie gelingt, ihre Interessen so zu vertreten, dass sie hinterher zufrieden ist. Der Therapeut fragt nach, geht freundlich auf sie ein und bemerkt gleichzeitig, dass er sich zunehmend unwohl fühlt. Er kann das Gefühl nicht benennen. Er spürt nur, dass es ihm nicht gelingt, zum Kern des Problems vorzudringen, was sicher auch daran liegt, dass die Patientin auf die meisten seiner Äußerungen nicht zustimmend, sondern kritisch reagiert und manchmal auch ablehnend das Gesicht verzieht. Er überlegt, ob er der richtige Therapeut für diese Patientin ist. Das geht so bis zum Ende der Stunde.
Naja, wir haben ja noch die Probesitzungen , denkt sich der Therapeut. Vielleicht komme ich da ein Stück weiter. Und wenn nicht, kann ich mich immer noch gegen eine Zusammenarbeit entscheiden. Er schlägt einen neuen Termin vor. »Also, das sage ich Ihnen gleich«, erklärt die Patientin, »bei mir ist es sehr schwierig mit Terminen. Ich kann immer nur dienstags um siebzehn Uhr.«
Dass sie kurzfristig abgesagte Termine selbst bezahlen soll, fände sie auch nicht richtig, schließlich könne sie nichts dafür, wenn der Chef ihr unerwartet Arbeit aufbrumme. Beim Hinausgehen deutet sie noch auf einen Blumenstrauß, der im Regal steht, und meint, sie fände Plastikblumen abscheulich und wundere sich darüber, dass so etwas in einer psychotherapeutischen Praxis stehe. »Ich dachte, hier geht es darum, dass man lebendiger wird«, sagt sie. Da passe etwas Totes doch nun gar nicht dazu. Der Therapeut behält lieber für sich, dass es sich um das Abschiedsgeschenk einer Patientin handelt, das auch nicht so ganz seinen Geschmack getroffen hat, und begleitet die Patientin zur Tür.
Nachdem sie gegangen ist, muss er erst einmal seine Gefühle und Gedanken sortieren. Was der Patientin fehlt, ist ihm immer noch nicht klar. Aber eins hat er verstanden: Wenn es ihr an etwas gar nicht gebricht, dann ist es Durchsetzungsvermögen. Ebenso wenig an Selbstbewusstsein.
Im richtigen Leben, dem Leben draußen vor der Praxistür, würde man so jemandem künftig aus dem Weg gehen oder man würde ihm gehörig die Meinung geigen. Psychotherapie ist anders. Die Patientin ist gekommen, weil sie leidet. Das, was sie ursprünglich angegeben hat, scheint so nicht zu stimmen, auch wenn sie selbst fest daran glaubt. Kein Grund, die Therapie abzubrechen.
Ein Arzt, der einen Patienten mit heftigen Bauchschmerzen hat, würde ihn auch nicht nach Hause schicken, wenn der ihm erzählt, wahrscheinlich habe er einen Blinddarmdurchbruch. Selbst wenn der Arzt bei der Untersuchung feststellt, dass der Blinddarm friedlich schlummernd im Bauchraum liegt und keinen Mucks von sich gibt. Er würde versuchen herauszufinden, was bei dem Patienten tatsächlich los ist, und sich nicht auf dessen Selbstdiagnose verlassen.
Und ebenso, wie der Arzt wissen möchte, was dem Patienten fehlt, ist auch bei unserem Therapeuten das Interesse an der Patientin wieder erwacht. Die Behandlung wird bestimmt nicht ganz leicht werden, aber nun will er wissen, was hinter dem offenbar falschen Selbstbild der Patientin steckt. Eventuell wird er die Diagnose stellen, dass
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