Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Berlinbesuchs in einer sehr großen, rund um die Uhr gut besuchten Kneipe, und ein paar Tage später noch einmal. Dann fuhren wir wieder nach Hause. Als wir das nächste Mal nach Berlin und in die Kneipe kamen, war ein Jahr vergangen, und unsere Freunde hatten sich getrennt, sodass nur noch der Mann uns begleitete.
Die Bedienung kam an den Tisch, begrüßte unseren Freund mit: »Und? Heute ohne Frau?«, und mich mit: »Und du kriegst wieder ein Pils mit Mineralwasser?«
Bis auf den heutigen Tag bin ich der festen Überzeugung, dass es sich bei der Bedienung um einen Androiden gehandelt hat. Kein Mensch kann ein so unglaublich gutes Gedächtnis haben.
Am anderen Ende des Spektrums liegt die Bedienung in einem Lokal an unserem Wohnort. Mein Mann bestellt sich gern stets die gleiche Vorspeise mit Knoblauchsauce. Praktisch jede Woche. Seit mindestens zehn Jahren. Gut, vielleicht neigt er etwas dazu, an Vertrautem festzuhalten, aber da wir schon lange verheiratet sind, finde ich das andererseits gar nicht so schlecht.
Jedenfalls fragt der Kellner jede Woche, die der Herrgott werden lässt: »Und, welche Sauce?« Wenn er auf Nummer sicher gehen wollte, könnte er natürlich auch einfach nachfragen: »Wie immer mit Knoblauchsauce?« Aber die Wahrheit scheint zu sein, dass er sich schlicht und einfach nichts merken kann.
Das Gedächtnis von Psychotherapeuten ist so gut oder so schlecht wie das von Menschen, die in der Gastronomie arbeiten. Vieles müssen wir aufschreiben, um es nicht zu vergessen. Nach den Sitzungen! Allenfalls mit Ausnahme der allerersten Stunden oder in ganz besonderen Situationen sollte der Therapeut Ihnen nicht mit einem Block in der Hand gegenübersitzen, sonst ist er nicht besser als ein Arzt, der mit seinem PC statt mit Ihnen redet.
Natürlich können wir uns nicht alles merken. Das müssen wir auch nicht. Der Patient ist der Spezialist für sich selbst. Zwar gibt es Patienten, die es übelnehmen, dass man sich nicht gemerkt hat, wie der preisgekrönte Dackel ihrer Tante heißt. Allerdings ist es wirklich nicht die Aufgabe des Therapeuten, sich so etwas merken zu müssen. Er muss sich nichts merken, was der Patient sowieso besser weiß. Seine Aufgabe ist es, die Dinge in Erinnerung zu behalten, die dem Patienten nicht so wichtig erscheinen, wie ein Ausspruch eben jener Tante, der ihn einmal sehr gekränkt hat.
Ebenso, wie es am Anfang mitunter schwer sein mag, in die Gänge zu kommen, kann es am Ende der Sitzung schwierig sein, sie zu beenden. Nun ist der Patient in Fahrt und könnte noch stundenlang berichten. Und vielleicht fragt er sich, ob es an ihm ist, die ganze Zeit auf die Uhr zu gucken, oder ob der Therapeut die Sitzung beendet. Glasklare Antwort: Die Aufgabe, die Stunde pünktlich zu beenden, liegt in der Verantwortung des Therapeuten.
Eines der Dinge, die wir den Psychotherapeuten in unseren Ausbildungsgruppen immer wieder streng eingebläut haben, war: Du musst die Sitzung pünktlich beenden. Therapeuten, die das nicht tun, stammen nicht aus unserer Schule.
Patienten sind unterschiedlich gestrickt. Nicht jedem passt es, wenn pünktlich nach fünfzig Minuten der Hammer fällt. Für diese Patienten ist das vielleicht sogar der Beweis dafür, dass der Therapeut gar nicht wirklich Interesse an ihnen hat, sondern dass dieses Interesse rein professioneller Natur ist.
Aber Psychotherapie ist etwas anderes als Kaffeetrinken mit der besten Freundin oder mit Tante Ilse, die sagt: »Ach bleib doch noch ein bisschen, es ist doch gerade so gemütlich.« Psychotherapie ist nicht gemütlich. Es ist gemeinsame Arbeit. Deshalb gibt es normalerweise beim Psychotherapeuten auch kein Tässchen Kaffee oder Tee. Sich intensiv auf etwas zu konzentrieren und dabei feines Porzellan zu balancieren schließt sich gegenseitig aus. Selbst ein talentierter Tellerjongleur ist nicht in der Lage, von seiner Kindheit oder auch nur von dem Problem mit seinem vorzeitigen Samenerguss zu berichten, während er sich bemüht, nichts zu Bruch gehen zu lassen. Bleiben wir also dabei: Psychotherapie und Töpferwaren passen nicht gut zusammen.
Für ein pünktliches Beenden der Stunde gibt es viele gute Gründe. Keiner dieser Gründe hat etwas damit zu tun, dass der Therapeut kein Interesse an Ihnen hat. Im Gegenteil. Zum einen geht es schlicht und einfach um Grenzen. Wie ein gutes Elternteil muss auch der Therapeut Grenzen setzen, um sich selbst zu schützen. Wenn er seine Arbeit richtig gemacht hat, braucht er nach
Weitere Kostenlose Bücher