Da gehen doch nur Bekloppte hin - aus dem Alltag einer Psychotherapeutin
Therapeuten in etwas Bedrohliches, wahrscheinlich in etwas, das man gut zu kennen glaubt. Und schon wird voller Panik der Befehl gegeben, dem vermeintlichen Angreifer die Tür vor der Nase zuzuknallen.
Es bedarf in einer solchen Situation viel therapeutischer Erfahrung und Feingefühl, damit der Patient genug Vertrauen entwickelt, um sich mit einem Teil seines Selbst auseinanderzusetzen, der vielleicht nicht ganz so erfreulich anzuschauen ist. Aber das haben wir Therapeuten schließlich gelernt.
Was ein Therapeut darf – und was nicht
Das ist ja ein Ding. Sie gehen in einen Gemüseladen, wollen eine Ananas und müssen hinterher feststellen, dass der Verkäufer Ihnen fünf Kiwis eingepackt hat.
Genauso irritierend mag es wirken, wenn der Therapeut den Auftrag, mit dem Sie zu ihm kommen, eventuell gar nicht annimmt, sondern sich seinen eigenen zurechtbastelt.
Andererseits – gibt es das nicht in jedem Beruf, in dem Leute arbeiten, die ihren Job ernst nehmen? Wenn Sie eine Frisur in der Zeitschrift gesehen haben und damit zu Ihrem Friseur gehen, ist es ja vielleicht auch nicht das Allerbeste, wenn er Ihnen den Paris-Hilton-Schnitt zaubert, den Sie unbedingt haben müssen. Nicht, wenn Sie hinterher feststellen, dass Sie damit aussehen wie Cindy aus Marzahn mit einer Paris-Hilton-Perücke. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, der Friseur hätte Ihnen zu einer anderen Frisur geraten, die besser zu Ihrer Gesichtsform und Ihrer Haarstruktur passt.
Wie ein guter Friseur fangen wir nicht einfach an zu schneiden bzw. die Extensions anzulöten (für Männer: das sind Haarverlängerungen), sondern wir besprechen die neue Marschrichtung mit Ihnen. Wir werden nicht versuchen, Sie irgendwohin zu manipulieren. Jeder Therapeut lernt in der Ausbildung, mit dem Patienten dahin zu gehen, wo es für ihn am besten ist, und nicht zu versuchen, jeden Patienten gottgleich nach seinem Bilde zu formen. Vielmehr ermutigt man den Patienten unter Umständen sogar dazu, Dinge zu tun, die für einen selbst die falsche Entscheidung wären.
Nehmen wir einen hypersportlichen Therapeuten, der morgens vor der ersten Therapiesitzung schon zwei Stunden lang durch die Pampa gejoggt ist. Wenn eine Patientin sich darüber beschwert, dass ihr Partner unbedingt möchte, dass sie morgens mit ihm vor dem Frühstück zwei Stunden durch die Pampa joggt, ist es mehr im Sinn ihrer seelischen Gesundheit, sie in dem zu unterstützen, was sie selbst will, statt zu sagen: »Dann sollten Sie das auch machen, das tut Ihnen bestimmt gut.«
Wir stochern nicht in den Weltanschauungen der Patienten herum. Zumindest dann nicht, wenn sie dem Patienten Halt geben. Der Patient darf religiös sein oder Atheist, homo- oder heterosexuell, Vegetarier oder Metzger, Sportskanone oder Couch-Potato, er darf jede Woche zur Wahrsagerin gehen oder als Naturwissenschaftler Derartiges streng als kompletten Humbug ablehnen. Wenn ein Psychotherapeut die Finger nicht von der Weltanschauung des Patienten lassen kann, zugleich aber weiß, dass dieser daran festhalten will, ist Psychotherapie unter Umständen nicht möglich.
Wenn ich Ihnen von Psychotherapie erzähle, klingt dabei natürlich durch, dass ich das für eine feine Sache halte. Aber ob sie das tatsächlich ist, wissen Sie deshalb noch lange nicht. Da kann ich Ihnen viel erzählen.
Also schauen wir mal, was die Statistiker dazu sagen: Der weitaus überwiegende Teil (die Zahlen schwanken je nach Untersuchung) der Patienten einer Psychotherapie berichtet über anhaltende Besserungen. Sie fühlen sich geheilt oder zumindest deutlich besser. Und zwar umso mehr, je belastender die Symptome zu Beginn der Behandlung waren.
In einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung der Universität Leipzig wurden über tausend Personen befragt, die innerhalb der letzten sechs Jahre in psychotherapeutischer Behandlung gewesen waren. 84 Prozent ging es vorher nach eigenen Angaben »schlecht« oder »sehr schlecht«. 89 Prozent waren anschließend mit der Therapie »zufrieden« oder »sehr zufrieden«. Sie gaben außerdem an, die Behandlung habe sich nicht nur auf die Symptomatik positiv ausgewirkt, deretwegen sie ursprünglich Hilfe gesucht hatten, sondern auch auf weitere wichtige Lebensbereiche. Laut der Untersuchung eines Marktforschungsinstituts mögen 88 Prozent aller Bundesbürger Schokolade. Ich finde, da schneiden die Psychotherapeuten im Vergleich doch wirklich nicht schlecht ab. Und es gibt demnach keinen vernünftigen Grund, sich
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