Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
aufgetragenen Lidschattens machen eine Geisha aus mir. Die Maskenbildnerin schminkt neu, allmählich bekommen die Augen wieder eine europäische Form, mein Gesicht sieht wieder nach mir aus. Die Maskenbildnerin ist leicht aus dem Häuschen, will es besonders gut machen, streicht mit dem Pinsel gefühlte fünfhundertmal um meine Augen herum. Ich merke, wie ich verspanne, will den Kopf wegdrehen, so wie früher als Kind, wenn meine Mutter sich mit ihrem Taschentuch näherte, um mir die Schokoladenschmiere am Mund abzuwischen. Mit ihrer Spucke, nicht mit meiner, das versteht sich ja von selbst.
Ich bin ungeduldig, unruhig, und meine Augen protestieren. Sie tränen, schmerzen, es geht erst mal nichts mehr. Gänzlich unerwartet steigt stiller Zorn in mir auf, der nicht weiß, welches Ziel er sich suchen soll.
Die Maskenbildnerin tut doch nur ihr Bestes.
»Ganz ruhig«, sagt die Fotografin, die in meinem Gesicht liest.
»Das kriegen wir hin.«
Kriegen wir auch. Nach mehreren tiefen Atemzügen und ein paar Tränen, die sich auch leicht den gereiztenAugen zuordnen lassen, lasse ich wieder an mir herumhantieren.
Zwanzig Minuten später sehe ich so aus, wie ich mich mag. Obenrum jedenfalls. Jetzt müssen wir uns anderen Körperteilen zuwenden. Die weiße Bluse spannt, sobald ich die Arme lässig verschränken soll. Wenn ich sie also bewege, die Arme, verrutscht das ganze Arrangement. Der Kragen hängt schief, und die Knopfleiste macht sich selbstständig in Richtungen, wo sie nicht hingehört.
Die Stylistin zieht die Bluse geduldig immer wieder nach unten und die Maskenbildnerin ist unentwegt damit beschäftigt, meine Haare so zu verwuscheln, dass es schön natürlich aussieht. Das gelingt nur bedingt. Zunächst sehe ich aus wie ein in die Jahre gekommener Vamp, dem die Haare ohne Plan vom Kopf abstehen. Es dauert eine Stunde, bis alle zufrieden sind.
Die Frau, die die Fotos macht.
Die Frau, die an der Bluse zieht.
Die Frau, die wie Kai aus der Kiste unvermutet ins Bild hüpft, weil ein Haar es sich wieder anders überlegt hat und zurück ins Glied muss.
Und die vierte Frau, die an Umbruch denkt und ein sehr seriöses Gesicht machen will. Was gründlich misslingt. Ich lache über das Durcheinander, die lästige Bluse, die Haare, die Millimeterarbeit beim Fotografieren.
»Geh noch einen kleinen Tick nach links, nein, zu viel, wieder nach rechts. Ja, so ist gut. Und jetzt den Arm eine Idee höher, und die Schulter ein kleines Stück zurück. Noch ein bisschen, ja, so. Den Kopf nicht so hoch, nein, tiefer. Ja. Bleib so.«
»Halt«, schreit die Maske und hüpft wieder ins Bild, das Gesamtkunstwerk ist hin.
Nach fünf Stunden haben wir zweihundert Fotos gemacht. Ich sehe eine strahlende, fröhliche Frau, die 65 ist. So richtig nach Umbruch sieht keines der Fotos aus.
Wir werden das Buch wohl anders nennen müssen.
22
Schönen guten Abend, meine Damen und Herren!
Christine Westermann brauche ich Ihnen wohl nicht vorzustellen. Und was Sie von ihr noch nicht wissen, das werden Sie im Laufe unseres Gesprächs hoffentlich erfahren.
Mein Name ist Hilmar Hambrecht, Radio- und Fernsehmann seit vielen Jahren. Das verbindet mich mit Christine Westermann.
Kennengelernt haben wir uns über ein gemeinsames Projekt, das ich als Redakteur verantwortet habe, Christine Westermann war damals Moderatorin. Und seitdem duzen wir uns auch – und wir sehen überhaupt nicht ein, wieso wir das auf dieser Bühne nicht tun sollten.
Herzlich willkommen, liebe Christine!
Wer ist Christine Westermann?
Ehrlich gesagt, wüsste ich das manchmal auch ganz gern.
Kommt sehr spontan, meine Antwort. Hatte nicht mal vor, es gleich zu Beginn so kurz und bündig zu halten. Aber die Antwort wird den paar hundert Frauen, die jetzt vor mir sitzen, sicher nicht genügen. Sie wollenmehr wissen, von mir, aus meinem Leben. Es sind Frauen aus allen möglichen Berufen. Position: mindestens gehoben, vielleicht sogar höher. Businessfrauen nennen sie sich, sie haben mich eingeladen, weil ich einen starken Eindruck bei ihnen hinterlassen habe. Für sie bin ich eine Frau, die das erreicht hat, was die meisten von ihnen noch anstreben. Eine Karriere, die ganz nach oben führt.
»Sie werden doch sicher von vielen Leuten erkannt, oder?«, raunt mir eine der Damen zu, bevor ich mich auf die Bühne setze. Wenn Erkanntwerden ein Zeichen für eine beachtenswerte Karriere ist, dann bin ich wohl ziemlich weit oben angekommen. Wenn sich die
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