Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Kinder, um Kranke. Die alte Dame ist nicht stolz auf das, was sie geschafft hat. Sie ist glücklich.
Am Ende ihres Buches, das ihren bisherigen Lebensweg beschreibt, fordert sie ihre Leser sehr sanft dazu auf, etwas Ähnliches wie sie zu versuchen.
»Das traue ich mich nicht«, sage ich ihr.
»Versuchen Sie es«, sagt sie. »Es geht. Gucken Sie mich an.«
Vor mir sitzt eine Frau, die leuchtende Augen hat. Die strahlt. Ausstrahlt. Auch das Glück, das es für sie bedeutet, wenn sie helfen kann.
Ich kaufe mich beinahe sofort frei. Mache einen Dauerauftrag bei meiner Bank, verpflichte mich zu monatlichen Spenden an ihre Organisation. Mehr geht nicht.
Ich bin auch ein (Zu viel-)Geber, um mich von anderen Pflichten freizusprechen.
Ich will die, denen es schlecht geht, nicht selbst treffen. Weder in Kalkutta noch in Köln-Höhenberg. Ich habe ein schier unerschöpfliches Reservoir an Mitleid. Ich könnte nicht, wie es manche Fernsehleute machen, als UNESCO -Botschafter irgendwohin gehen. Ich will nicht zwischen verhungernden afrikanischen Bürgerkriegskindern stehen, optimistisch gucken und mich dabei fotografieren lassen, damit in Deutschland mehr Spender geworben werden können. Ich helfe lieber ungesehen. Ohne Foto. Ich habe Patenkinder in verschiedenen Erdteilen, die ich monatlich unterstütze. Ein paarmal im Jahr kommen Bilder. Dann bin ich die unbekannte Tante im fernen Übersee, die ihre Patenkinder nur von Fotos kennt, aber anerkennend und stolz feststellt: Mensch, was seid ihr groß geworden. Mein chinesisches Patenkind habe ich bekommen, als es in den Kindergarten kam. Jetzt ist sie ein Teenager.
Der kleine Junge in Bolivien war von Geburt an mein Patenkind. Als er drei Jahre alt war, wurde er krank, die Eltern schafften es nicht mehr rechtzeitig ins Krankenhaus, er starb binnen weniger Tage an Hirnhautentzündung. Ich habe um ihn getrauert wie um einen lieben kleinen Freund. Sein Bruder war gerade mal zwei, als er wenig später mein neues Patenkind wurde.
Zu-viel-Geber wie ich sind auch ziemlich unverfrorene Heuchler. Nach der Devise: Wie schön, aber das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen.
Jemand schenkt mir zu einem Festtag eine Vase. Dämliches Muster, potthässlich, liederlich mal eben so in eine Papiertüte gestopft. Eine Blumenvase. Überflüssig und ein Staubfänger, der jahrelang in einer der untersten Schubladen verrotten wird. Gern eine fröhliche Vase für jemanden, der leidenschaftlicher Vasensammler ist und das auch immer wieder kundtut. Der aber war und bin ich nicht.
Aber was tue ich? Ich ziehe das Monstrum vorsichtig aus der Papiertüte, mache ein hocherfreutes Gesicht, setze mein schönstes Lächeln auf, bedanke mich überschwänglich und schrecke nicht mal vor der oberpeinlichen Bemerkung zurück, dass ich mir eine solche Vase schon immer gewünscht habe.
Warum mache ich das?
Zu-viel-Geber wie ich sind übrigens Schlecht-Annehmer. Als ich einem Therapeuten von meinem Gebe-Impuls erzähle und wir versuchen, den Grund aufzuspüren, bewegt sich nicht viel. Ich kann nicht erklären, was mich bewegt, und erkläre diese Spende-Manie abschließend zur normalsten Sache der Welt.
Es macht mir Spaß, zu geben.
Wer zu viel hat, gebe dem, der weniger hat.
Schluss, aus. Mehr ist nicht dran.
Der Therapeut ist besser als ich.
Am Ende der Stunde erklärt er mir, dass er für diese sechzig Minuten kein Honorar möchte. Er schenkt mir die Stunde.
»Ich möchte Ihnen gerne etwas geben.«
Er macht nur Spaß, ist mein erster Impuls.
Nein, er meint es ernst. Ausgeschlossen, sage ich. Kann ich nicht annehmen, will ich nicht annehmen. Das geht nicht.
Warum es nicht gehe?
Keine Erklärung. Geht eben nicht.
Mir kommen die Tränen. Ich habe keine Ahnung, warum. Jemand will mir spontan etwas schenken.
Genau das, was ich auch so oft mache. Aber umgekehrt will ich es nicht zulassen.
»Das geht«, sagt er.
Es geht tatsächlich.
Die Zu-viel-Geberin hat etwas genommen. Und freut sich noch Tage später darüber.
19
L ove Tank. Hört sich so an, als gehöre das Ding zur Grundausstattung einer Barbiepuppe, die mit ihrem Ken eine gemeinsame Zukunft plant.
Nicht ganz, aber fast. Love Tank war der rührend kitschige Name einer kleinen amerikanischen Talkshow, ein Pilotprojekt, das in den 1990er-Jahren irgendwo zwischen Kinderprogramm und einer Krankenhausserie versteckt wurde und nur ein paar Folgen überdauerte. Eine Art kleiner Eheberater für Paare, die sich gegenseitig ihr Leid
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