Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
Vom Netzwerk:
Sendung, die wir damals gemacht haben. Wie lang ist das jetzt her?« Ein Lächeln von seiner Seite, vielleicht eine Idee zu distanziert. Fast irritiert. Anders als seine Antwort. Die ist eben so klar wie freundlich.
    »Sie müssen mich verwechseln. Ich kenne Sie nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, oder?«
    Muss ich jetzt sterben?
    Ich brauche nicht einmal einen Sanitäter, um mir diese Frage zu beantworten.
    Ja, klar. Auf der Stelle. Vor Scham.

18
    I ch bin ein Geber. Ein Zu-viel-Geber. Die Liste der Gründe, warum ich nichts für mich behalten kann, ist lang:
    Weil ich genug habe und andere nicht.
    Weil ich mehr als genug habe. Vielleicht zu viel.
    Weil der, der viel hat, dem geben soll, der weniger hat.
    Weil mir dieser Satz richtig erscheint.
    Weil mir das Wohl anderer wichtig ist.
    Wohl wichtiger manchmal als mein eigenes.
    Fängt bei Kleinigkeiten an. Ich bin der typische Flügelkandidat beim Gänseessen zu Weihnachten.
    Eine Gans hat zwei Beine. Jene begehrenswerten Keulen, an denen viel Fleisch hängt. Und zwei Flügel. Denen man schon im Rohzustand ansieht, dass an ihnen nichts dran ist außer Gänsehaut. Keiner will den Flügel. Mein Standardsatz aber, wenn die Gans tranchiert ist und es an die Verteilung geht, lautet: Gebt mir mal den Flügel, den esse ich immer noch am liebsten. Glatt gelogen. Aber schon so viele Jahre praktiziert, dass ich manchmal selbst daran glaube.
    Ein Zu-viel-Geber ist fast immer auch ein Nicht-nein-Sager.
    Der Mann an der Haustür sieht frisch, energisch, entschlossen aus. Entschlossen bin ich allerdings auch.Ich will nicht Mitglied beim Deutschen Roten Kreuz, Sektion Köln-Süd, werden. Ganz sicher nicht. Ich spende gern, was das Zeug hält, aber das DRK steht nicht auf meinem Zettel. Zu groß, zu weit verzweigt, zu bekannt. Mir liegen die kleinen Organisationen am Herzen. Die auch deshalb unbeachtet bleiben, weil sie nicht genug Männer in dunkelblauen Anzügen haben, die an fremden Haustüren klingeln.
    Der Dunkelblaue ist gut, von seiner Spendensache überzeugt, beredt, fast schon mitreißend. Ich tue, was ich kann. Täusche unaufschiebbare Arbeit vor. Will ihn mit einer Zwanzig-Euro-Spende abwimmeln.
    Sage sogar die Wahrheit. Dass ich keine Lust habe, irgendwo Mitglied zu werden. Nicht mal bei einer Partei. Mein Widerstand erweist sich als mickrig. Ich sehe ihm an, dass er das schon weiß. Nur ich weiß nicht, warum ich ihn hereingebeten habe, warum er jetzt tatsächlich an meinem Küchentisch sitzt. Ich unterschreibe ein Fünf-Seiten-Formular, bekomme eine zehnstellige Mitgliedsnummer, zahle den ersten Monatsbeitrag in bar, gehöre von Stund an zur weltweiten Gemeinschaft des Deutschen Roten Kreuzes, vor allem aber des Bereiches Köln-Süd. Das garantiert mir im Notfall einen Hubschraubereinsatz und eine Vorzugsbehandlung am Unfallort. Vorausgesetzt, ich trage den Mitgliedsausweis ständig mit mir herum. Falls ich lebenslang unfallfrei bleiben sollte, finanziere ich eben eine gute Sache, und wenn es nur der heiße Tee für die Autofahrer bei Wintereinbruch auf der gesperrten Sauerlandlinie ist.
     
    Als Zu-viel-Geber ist man immer auch Opfer. Fette Beute für jene, die ein Auge haben für den Mitleidsknopf, den man bei mir nur kurz drücken muss, damit die Geldquelle sprudelt.
    Margret beherrscht diese Taktik perfekt.
    Ich mache Ferien in einem Land, wo ein Zu-viel-Geber wie ich am besten gleich mit einem Geldkoffer anreist, um das schlechte Gewissen – die haben zu wenig, ich habe zu viel – nachhaltig zu entlasten.
    Margret gehört zum Personal des Guesthouse, sie serviert das Frühstück, die Stirn in Falten gelegt. Es geht ihr nicht gut. Sie hat Kopfschmerzen. Am nächsten Tag auch. Und am übernächsten sind sie kaum noch auszuhalten. Nein, ausgeschlossen, an einen Arztbesuch ist nicht zu denken, das ist zu teuer, so viel Geld hat sie nicht.
    Sie hat das Wort teuer noch nicht ganz ausgesprochen, da habe ich schon das Portemonnaie in der Hand. Sie vergisst beinahe augenblicklich, dass sie wegen der schlimmen Kopfschmerzen seit drei Tagen schwerfällig durch den Frühstücksraum schlurfen musste. Jetzt schwebt sie hinaus, mein Geld in ihrem Büstenhalter vergraben.
    Am nächsten Tag bringt sie meine frisch gebügelte Wäsche. Ich sitze auf der Terrasse, vor mir der weiße Strand, der stahlblaue Himmel, der Ozean gibt sich wie gemalt, smaragdgrün mit Schaumkrönchen, ein Tag im Paradies.
    Margret nähert sich schweigend meinem Liegestuhl, guckt mit mir aufs

Weitere Kostenlose Bücher