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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Westermann
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Meer hinaus. Sie räuspert sich kurz, beginnt einen Satz, aber ihre Stimme bricht, ehe sie ihn zu Ende bringen kann.
    »My brother … boat … dead.«
    Damit nicht genug, der im Sturm auf dem Meer ertrunkene Bruder hat drei kleine Kinder hinterlassen,um die sich Tante Margret jetzt kümmern muss, Essen, Schulsachen, Schuhe, Kleidung. Ich wage nicht mal zu fragen, ob die Kindsmutter auch untergegangen oder lediglich anderweitig abhandengekommen ist. Margret scheint mir zu verzweifelt und noch zu tief in der vergangenen Katastrophe verhaftet, um solche kleinlichen Fragen schon ertragen zu können. Denn kleinlich sind sie, oder nicht? Eine mittelalte Frau mit unerträglichen Kopfschmerzen kümmert sich rührend um ihre vollwaisen Neffen. Das ist das Einzige, was zählt.
    Und welches Bild gebe ich ab?
    Verwöhnte Touristin, die am helllichten Nachmittag mit trockenem Weißwein auf der Terrasse sitzt, keinen Finger rührt, für Flug und Aufenthalt ein kleines Vermögen verprasst, während anderer Leute Verwandtschaft im Ozean ertrinkt.
    Zwei Tage später ist dann ein zweiter Bruder, ebenfalls mit weitläufiger Familie, unter einen Lastwagen gekommen und hat ein Bein verloren. Als am Ende der Katastrophenwoche auch noch eine von Margrets kleinen Vollwaisen mit Verdacht auf Gehirntumor in die Kinderklinik kommt, habe ich es dann auch begriffen. Der Mitleidsknopf war fortan außer Betrieb. Kurzfristig zumindest.

     
    Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, als müsse ich eine bestimmte Erwartungshaltung erfüllen. Die Fernsehfrau. Bestimmt hat sie ein Haus mit Kiesauffahrt und Buchsbäumchenallee. Dass die Fernsehfrau in einem Vier-Parteien-Haus wohnt und die Treppe putzt, weil die Putzfrau eine Stauballergie hat, ist zwar die Wirklichkeit. Aber die kennt ja keiner.

    Haben kommt von Halten. Ein Satz, der mir, seit ich Geld verdiene, ebenso selbstsüchtig wie peinlich erscheint. Nur leider ist er wahr.
    Ich habe gehabt in meinem Leben. Viel gehabt, aber ich habe es nie gehalten. Bis heute halte ich es erst dann fest, wenn ich fast nichts mehr habe. Oder es knapp werden könnte.
    Ein Journalist hat mich bei einem Interview gefragt, was für mich in meinem Leben bis jetzt der größte Luxus gewesen sei. Meine Antwort kam ohne großes Zögern, hat mich in ihrer Klarheit allerdings selbst überrascht. Der größte Luxus, den ich mir bisher in meinem Leben geleistet habe, ist, KEIN Haus in der Sonne am Mittelmeer zu haben. Keine teure Uhr. Oder teure Kunst. Hätte im Laufe der Jahrzehnte sicher gut klappen können, hätte ich gehalten, was ich hatte.
    Luxus ist für mich stattdessen loszulassen, nicht festzuhalten. Am Ende eines fröhlichen Abends im Restaurant zum Beispiel die Rechnung für alle zu übernehmen. Nicht einmal. Immer wieder.
    Vor ein paar Jahren, als ich auf die 60 zulief, hat mich die Erkenntnis mächtig umgetrieben, dass noch immer kein zwölfteiliges Porzellanservice in meinem Küchenschrank stand. 60 Jahre alt zu sein und noch immer keinen kompletten Haushalt zu besitzen. Keine Messerbänkchen, keine Damasttischdecken, die Lampen sind von Ikea.
    Was habe ich davon zu haben? Wie beruhigend ist es, ein Vermögen beiseitegelegt zu wissen? Ein Haus zu besitzen, Werte sein Eigen nennen zu können? Finanzielle Werte?
    Sehr beruhigend? Habe ich dem etwas entgegenzusetzen?

    Was ich habe, habe ich im Kopf, respektive im Herzen verstaut. Es sind ideelle Werte, prall und bunt, die mein Leben reich gemacht haben. Erinnerungen, Ereignisse, Reisen, Menschen. Ich habe mir viel geleistet. Aber es gibt nichts, was ich vorweisen könnte.
    Gilt das? Oder ist das doch eher verpulvert?

     
    Vor einiger Zeit habe ich eine ältere Dame getroffen. 86 Jahre alt. Rosi ist eine ehemalige Religionslehrerin, sie war knapp zwanzig Jahre alt, als Bilder von blinden Menschen in Pakistan und Bangladesh sie tief erschüttert haben. Sie wollte sofort etwas geben, helfen.
    »Wo willst du anfangen?«, hat man sie damals belächelt. »Es gibt Millionen blinder Menschen.«
    »Beim ersten«, hat sie geantwortet. Und angefangen, Spenden zu sammeln.
    Heute, mehr als sechzig Jahre später, hat sie es mit ihrer Organisation geschafft, Hunderttausenden von Menschen das Augenlicht zurückzugeben. Eine Operation gegen den grauen Star kostet umgerechnet dreißig Euro, viele Menschen in Deutschland haben gespendet, Frau Rosi hat es an die richtige Stelle gebracht. Mittlerweile kümmern sich ihre Mitarbeiter auch um viele andere Projekte. Um Frauen, um

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