Da gewöhnze dich dran
Rechner hoch. Holt ein Päckchen Tabak aus seiner Gesäßtasche. Dreht sich eine Zigarette. Tippt sein Passwort in den Rechner und verlässt mit der Selbstgedrehten den Raum.
Sedat erklärt: «Er macht immer das Gleiche, wenn er ins Büro kommt: Er setzt sich hin, fährt seinen Rechner hoch, dreht sich eine Kippe und geht dann erst mal eine rauchen. Mittags isst er einen Erdbeerjoghurt. Immer den gleichen, die gleiche Marke, die gleiche Größe.»
«Sonst isst er nichts?»
«Sonst isst er nichts.»
«Und er ist Graphiker?»
«Er arbeitet mit mir an Entwürfen für Websites, die Thorsten und ich dann umsetzen, so programmiertechnisch.» Sedat grinst. «Und? Was war dein erster Gedanke: Wonach sieht er aus?»
Er sieht aus, als betreibe er einen Fetisch-Shop, nage mittags an einem Hühnerknochen und fahre an sonnigen Wochenenden mit schwulen Motorradkumpels durch die Eifel. Ich sage: «Weiß nicht. Er wirkt ein bisschen eigen.»
«Als ich ihn das erste Mal sah, hatte ich total Angst vor ihm.»
«Wieso das?»
«Manchmal habe ich den Eindruck, dass ihm nicht gut ist, wenn es zu hell im Raum wird. Sobald die Sonne scheint, zieht er die Gardinen zu. Ich glaube, er zerfällt sonst zu Staub.»
Wir reden noch ein bisschen über die Firma und die laufenden Projekte. Nach einer Weile kommt Jost hinzu und setzt sich schweigend auf seinen Platz. Sedat erzählt mir von seiner Familie, von seinen Schwestern, die im Ausland studieren, nach Berlin und in die Türkei gezogen sind. Dann kommt mein Chef. Dieter Kaminski ist ein bulliger Typ in Jeans, Hemd und einem schwarzen Jackett.
«Verdammt», sagt er zur Begrüßung. «Ich hatte ganz vergessen, dat du heute kommst.»
Spitzenmäßig.
«Aber dat mach ich widda gut.»
Er bedeutet mir mitzukommen und zeigt mir meinen Arbeitplatz: ein Schreibtisch in einem Büro mit Melanie. Melanie ist groß, schlank, bestimmt schon über 40 und hat ein Gesicht wie ein Pfannkuchen: rund und platt. Die Haare: kurz und antoupiert. Sie hüpft um ihren Schreibtisch herum wie ein Flummi und schüttelt mir meine Hand, dass es in der Schulter kracht. Ihre Pandora-Anhänger klimpern am Handgelenk.
Ich erzähle, wo ich herkomme und dass ich gerade erst nach Dortmund gezogen bin. «Nach Hörde», sage ich.
«Dat kenn ich», trompetet Melanie mit einer Stimme wie Benjamin Blümchen. «Ich komm aus Applebeach.»
«Wo?»
«Aplerbeck, Mann. Kennst dich hier noch nich aus, woll? Is gleich bei dir umme Ecke. Fährste nur die Schüruferstraße runter, schon biste da. Schön anne Emscher gelegen, fast wie im Paradies. Machste Sport? Siehst so dynamisch aus.»
Dynamisch. Hach. «Handball», sage ich.
«Handball, toller Sport. Hab ich schomma gesehn. Tolle Typen, Oliver Roggisch und so. Der erinnert mich imma an Jürgen Klopp. Ich mach Sportgymnastik bei der TSC Eintracht. Cardio X-treme, kennze? Is so watt wie Aerobic, nur mit mehr Fettverbrennung. Und mit Hüftschwung, dasse beweglich bleibs inne Mitte.» Sie wirft ihre Hüfte ruckartig von links nach rechts und schwenkt die Arme dazu über dem Kopf. «Welche Liga spiels ’n du?»
«Im Moment habe ich keinen Verein.»
«Nich? Dann frach mal ’n Thorsten. Dem seine Schwester spielt auch Handball. Irgendein Verein im Süden. Müsste bei dir inne Nähe sein.»
«Vielleicht später mal.»
«Kannst mich Mel nennen.»
Mel. Wie Mel C, das Spice Girl. Oder wie Melrose Place. Oder wie die akustische Maßeinheit. Törööö.
Als ich am Abend nach Hause komme, blinkt mein Anrufbeantworter. Ich ziehe meine Bluse aus, schlüpfe in ein Sweatshirt und drücke den Knopf am Telefon.
«Hallo, Mäuschen, hier ist Mama. Ich wollte nur hören, wie dein erster Arbeitstag war. Ruf doch mal zurück.»
Ich nehme das Telefon, lasse mich im Schlafzimmer aufs Bett fallen und wähle die Nummer meiner Mutter. Es dauert lange, bis sie abnimmt. «Hallo!», schreit sie in den Hörer, und es klingt gehetzt.
«Ich bin’s, Mama. Warst du im Keller?»
«Stell dir vor, mein Auto springt nicht an. Ich wollte nur schnell zum Blumenmarkt fahren, aber es macht keinen Mucks mehr.»
«Ist die Batterie leer?»
«Jetzt stehe ich da unten mit Herrn Matussek, und er versucht, den Motor wieder flottzukriegen. Mit so einem Überbrückungskabel.»
«Wer ist Herr Matussek?»
«Ach, Kind. Kennst du doch. Herr Matussek!»
«Nein.»
«Er hat dir geholfen, als du diesen schlimmen Durchfall hattest.»
«Wovon sprichst du?»
«Als ich dich damals fast ins Krankenhaus bringen musste. Ich
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