Da gewöhnze dich dran
gehen an sieben Büros vorbei – drei auf der linken, vier auf der rechten Seite. Ich höre ein Telefon klingeln, doch niemand nimmt ab.
«Tja», sagt Eichhörnchen ohne Zusammenhang, als wir in der Teeküche angelangt sind. Er schwenkt die Arme neben seinem Körper, als trockne er Nagellack, steckt dann die Hände in die Taschen seiner Jeans und zieht die Schultern hoch. «Du fängst also heute hier an», sagt er.
«Als Projektmitarbeiterin», sage ich.
«Mmmmh», macht Eichhörnchen, «gut.»
Wir stehen da wie Heinz und Hilde Becker, die auf den Bus warten. Ich bin nicht gut im Smalltalk, und er ist es offensichtlich auch nicht. Am Ende der Teeküche befindet sich eine Sitzgruppe: ein Tisch und drei Plastikstühle. Ich stelle meine Tasche auf einen Stuhl. «Tja», sage nun auch ich, um nicht weiter zu schweigen. In Gedanken suche ich nach einer Frage, die ich stellen könnte, da sagt Eichhörnchen: «Ich schlage vor, dass du erst mal hier wartest. Gläser sind dort oben im Schrank. Wasserkästen stehen da vorne.» Er deutet auf drei Kästen, die neben der Spüle gestapelt sind.
«Gute Idee», sage ich.
Er geht aus dem Raum, kommt dann aber noch einmal wieder. «Ach so», sagt er und deutet auf die Wand. «Ich sitze direkt im Raum nebenan. Ich meine: Falls was ist.»
Er geht weg. Ich ziehe meine Jacke aus, lege sie über einen der Stühle und setze mich. Ich blättere durch eine Tageszeitung. Aus meiner Handtasche höre ich ein Brummen und ein «Pling». Eine SMS : «Viel Glück. Vatta.» Er ist kein Mann der vielen Worte.
Ich stelle das Telefon auf lautlos, lasse es zurück in meine Tasche fallen und gehe in den Flur. Als ich am Büro von Eichhörnchen vorbeikomme, bleibe ich in der Tür stehen. Das Büro ist karg: Rechts steht ein hohes Regal, in dem Verpackungen und Kabel liegen. Er sitzt vornübergebeugt an einem Schreibtisch voller Spielfiguren, hat die Nase kraus gezogen und starrt auf einen Monitor. Im Gegenlicht schimmern seine Haare noch roter. Wie pinselige Eichhörnchenohren stehen sie oberhalb seiner Schläfen ab, während die Stirn sich fast bis auf den Hinterkopf zieht. Er bemerkt, dass ich ihn beobachte, und sieht mich an. «Ja?», fragt er.
«Bist du heute alleine hier?», frage ich.
«Die anderen kommen immer erst später», sagt er und beugt sich wieder zum Monitor. «Dieser verdammte Cronjob läuft nicht.»
Ich warte auf weitere Erklärungen, aber es kommen keine. «Programmierer?», frage ich. Er sagt nichts, sondern klickt etwas an und hackt dann auf seine Tastatur ein.
«Fängst du immer so früh an?»
«Um sieben.» Er atmet vernehmlich ein, sieht mich kurz an und sagt: «Das ist grad wichtig hier.» Dann dreht er sich wieder zum Monitor, hämmert auf seiner Tastatur herum.
Ich gehe zurück in die Teeküche. Mir ist plötzlich speiübel. Ich habe nichts gegessen und nichts getrunken und bin seit drei Stunden wach. Ich beginne zu schwitzen, nehme mir ein Wasser und setze mich zu meiner Tasche. Grundgütiger, jetzt bloß nicht kotzen.
Es gibt genau drei Gelegenheiten, bei denen ich mich auch mit 30 immer noch fühle wie ein kleines Mädchen: wenn ich überflüssig bin, wenn ich auf jemanden warte, dem ich gefallen möchte, und wenn meine Mutter eine Serviette nimmt und draufspuckt, um mir damit Marmelade von der Wange zu wischen. Inzwischen hält sie immerhin inne, reicht mir die nasse Serviette und sagt hastig: «Mach mal eben selbst.»
Natürlich gibt es gute Argumente gegen dieses seltsame Sich-hilflos-und-minderwertig-Fühlen, zum Beispiel Sätze wie: «Mach dich nicht fertig – du bist nur so überflüssig, wie du dich fühlst» oder «Wer überall gefallen will, macht etwas falsch im Leben». Aber mal ehrlich: Das ist doch Humbug. Jeder möchte gefallen. Es ist immer das Gleiche: Jemand drückt uns eine unsichtbare Schultüte in die Hand und stellt uns in eine Reihe füßescharrender i-Dötzchen, die gleichermaßen hasenfüßig, ehrfürchtig und vorfreudig erwarten, was sie nicht beeinflussen können.
Ich höre Stimmen im Flur und stehe auf. Ein dunkelhaariger Typ kommt in die Küche. Er hält eine Salatschüssel im Arm.
«Hi», sagt er. «Ich bin Sedat.» Er stellt die Schüssel auf die Spüle und streckt mir seine freie Hand hin.
«Nessy», sage ich und ergreife sie. «Ich fange heute hier an.»
«Hat Kaminski gesagt. Herzlich willkommen!»
Na endlich. Gott sei Dank. Es gibt Leute, die wissen, dass ich komme, und denen das noch dazu nichts
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