Da gewöhnze dich dran
Entdeckergeistes.
Wenn du neu anfängst, ist mit einem Mal alles fort. Dann gibt es erst mal nichts, keinen Menschen und keinen Ort, mit dem dich etwas verbindet, mit dem du eine gemeinsame Geschichte hast. Du kennst nichts und niemanden, keine Geräusche und keine Gerüche, weißt nicht, wo der nächste Arzt ist und wo der nächsten Blumenladen, wie du am schnellsten in die Stadt kommst und wer dir deine Schuhe besohlen kann, wo der beste Baum ist, den du emporklettern könntest, und wo es gute Butterblumenfelder gibt. Jeder Handgriff ist anstrengend, alles muss ein erstes Mal geplant und gedacht werden – das Einkaufen, das Spazierengehen, das Busfahren. Alle Kleinigkeiten bedürfen einer Vorbereitung, erfordern Kraft, nichts kannst du einfach tun, wie du es später selbstverständlich tun wirst, keinen Weg kannst du einschlagen, ohne vorher nachgesehen zu haben, wohin er führt. Das ist das eigentlich Anstrengende an einem Neuanfang: dass alles Energie einfordert, dass es keine Automatismen gibt. Dazu kommt das Gefühl des Zurücklassens, die Trauer um das, was gewesen ist, auch wenn du weißt, dass es die Erlebnisse, um die du trauerst, nie mehr geben wird, weil es die Menschen, mit denen du sie geteilt hast, so nicht mehr gibt, nicht mehr mit dir, nicht mehr als Teil deines Lebens.
Es dauert eine Weile, bis dieses Gefühl vergeht, bis du Routinen findest, bis du den Geruch von zu Hause erkennst, wenn du den Hausflur betrittst, bis dir die Geräusche vertraut sind, die dein Haus und die Leute um dich herum machen: morgens, mittags, abends und auch nachts. Du weißt irgendwann, wie die Busse fahren, wo du Klopapier herbekommst, und irgendwann auch, wer neben dir wohnt.
«Ach, dat Etteken. Hasse dich eingelebt?»
Es ist früher Abend. Ich komme von der Arbeit nach Hause. Schmidtchen öffnet mir die Haustür, als ich den Schlüssel hineinstecke. In der Rechten hält er einen durchsichtigen Müllbeutel, in dem Kaffeefilter, Eierschalen und Haushaltstücher ihre Wangen gegen die Tütenwand drücken.
«Ein bisschen, Herr Schmidtchen», sage ich.
«Kommze vonne Schicht? Bist abba auch imma lange außem Haus.»
«Dafür kann ich morgens länger schlafen.»
«Bis neune, ’ne? Odda wann gehße imma zum Bus?»
«Gut beobachtet, Herr Schmidtchen.»
Er trägt heute wieder seinen blauen Frotteejogger, dazu braune Hauspantinen und gelocktes Brusthaar. Er hat ein leichtes Truthahnkinn, das beim Sprechen unter seinem Unterkiefer baumelt.
«Ich guck nur, datte dich hier geborgen fühlz», sagt Schmidtchen und grinst bubenhaft.
«Schon klar», sage ich.
«Ich muss getz auma.» Er hält den Müllbeutel hoch. «Sonst fracht sich meine Lisbeth noch, wo ich bleib.»
Wir wünschen uns einen schönen Abend, er geht hinaus, ich gehe hinauf in meine Wohnung, schalte den Fernseher und den Computer ein und mache mir ein Brot.
Kaum bin ich online, macht es «pling» auf dem Bildschirm. Der Freundefinder, der eigentlich ein Partnerfinder ist, zeigt mir an: «Fozzibaer 76 » möchte chatten. Am Wochenende habe ich mich dort angemeldet, um Leute kennenzulernen. Eigentlich ist es keine Partnerbörse, eher etwas für Leute, die neu in einer Stadt sind, trotzdem schreiben mich nur Männer an – schneller, als ich selbst Nachrichten schicken kann.
«hey», schreibt der Fozzibär.
«Hey», schreibe ich. Ich sitze auf dem Sofa mit dem Laptop auf den Knien.
«wie gehts»
«Gut. Und Dir?», schreibe ich zurück.
«bist du allein»
«Warum?»
«was hast du an»
«Jogginghose und T-Shirt. Was man abends auf dem Sofa so anhat.»
«hast du schon geduscht»
«Äh, ja.»
«hast du lust dich zu treffen»
«Ob ich Lust habe, mich zu treffen?»
«mich»
«Dich?»
«ja»
«Nein.»
«warum nicht» Weil du so ein fescher Verführer bist, Checker.
«Weil wir uns nicht kennen?!»
«ja und», antwortet Fozzibär.
«Ich glaube, so wird das nichts mit uns.»
«warum nicht»
«Weil du nicht mein Typ bist!»
«woher weist du das hast mich doch noch gar nicht gesehen»
Weil du nicht nur keine Kommas, sondern auch keine Punkte setzen kannst, deshalb.
«ok cu», schreibt er schließlich, als ich nicht antworte – cu, see you, wir sehen uns. Nicht.
Im Fernsehen läuft eine Andendoku. Ein dickes Murmeltier sitzt auf einem Stein und pfeift. Ich schalte um. Neues vom Immenhof. Zapp. Deutsche, die ins Ausland ziehen. Zapp. Bonnie Bianco und Pierre Cosso fahren auf einem Moped durch
Cinderella ’ 87
. Wieder zurück zu den
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