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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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Rüttenscheid, und noch weiter südlich, im Stadtwald und an unserem, nun ja, Lago Baldino.»
    «Ich dachte, der heißt Baldeneysee.»
    «Der Baldeneysee ist halt unser Italien.»
    Schwer zu sagen, wie alt Björn ist. Im Internet hat er es nicht angegeben, und bis jetzt war es mir auch egal. 35 ? 40 ? Sein Hintern ist jedenfalls rund und fest.
    «Was guckst du?», fragt er, als wir uns hinsetzen. «Du schaust mir doch nicht etwa auf den Arsch?»
    Rot. Ich. Schon wieder.
    Er lacht. «Ertappt!»
    Ein Kellner bringt uns zwei Karten. Björn bestellt eine große Flasche Wasser und zwei Gläser, Wein und gemischte Antipasti. «Ich habe echt Kohldampf», sagt er. «Dann können wir schon mal ran.»
    Er nimmt sich die Karte. Seine Hände sind groß, Sommersprossen sprenkeln seine Handrücken. «Du warst also noch nie in Essen?», fragt er. «Dann müssen wir gleich mal einen Rundgang machen, wenn es nicht schon zu kalt ist. Das hier ist nämlich ein nettes Viertel. Hier oben», er hebt die linke Hand über den Kopf und deutet in Richtung Garderobe, «ist der Grugapark. Und dort unten», er deutet an mir vorbei in die Küche, «ist das Folkwang-Museum. Man sieht es nicht immer auf den ersten Blick, aber die Stadt ist echt schön.»
    «Zumindest schöner als Bochum-Langendreer», sage ich.
    «Wieso das?»
    «Ich war dort mal auf einem … uhm … Termin, und es war echt deprimierend. Nur Industriebrachen, dann hat es auf dem Rückweg auch noch geregnet. Damals habe ich mir echt gewünscht, ich wäre woanders hingezogen, nicht ins Ruhrgebiet.»
    «Das Ruhrgebiet ist eher etwas für den zweiten Blick. Ich kenne nur wenige, die sich spontan verliebt haben. Aber manchmal ist der zweite Blick eben auch der beständigere.»
    «Gibt es denn Leute, die sofort begeistert sind?», frage ich. Ich kann es mir kaum vorstellen.
    «Wir hatten mal Gäste aus Japan, die es ganz toll fanden hier. Der Freund meiner Schwester war auch begeistert. Er ist Gruftie und meinte, das Morbide hier sei wunderbar.»
    Ich lache.
    «Magst du mir von dir erzählen?», fragt Björn, nimmt einen Schluck von seinem Wein und fragt weiter: «Wie gefällt es dir auf deiner neuen Arbeit? Warum bist du eigentlich hergekommen – wegen des Jobs?»
    Ich erzähle ihm von mir, von meiner Vergangenheit, von Daniel, meinem gekündigten Job, von Kaminski und von meiner Handballmannschaft. Es sprudelt aus mir heraus, es ist ganz selbstverständlich, als säße ich einem Vertrauten gegenüber. Björn nickt, stellt Fragen, hakt nach, wir lachen viel, essen Vorspeisen, Nudeln und Fleisch und am Ende Nachtisch. Ich bin satt und voll und zufrieden, würde aber gerne noch fünf weitere Gänge essen, nur damit der Abend nicht endet. Björn schaut mich immer mal mit schräggelegtem Kopf an, er beobachtet mich, es ist, als höre er mir nicht zu, ich gerate ins Stocken, werde rot, er lächelt.
    «Wann fährt dein Zug heim?», fragt er, nachdem wir das letzte Glas Wein geleert und einen Espresso getrunken haben.
    «Egal. Die S-Bahnen fahren die ganze Nacht durch.» Ich weiß zwar nicht, ob das stimmt, aber ich sage es einfach. Selbst wenn es nicht so wäre: Ich würde den Rest der Nacht am Bahnhof verbringen, nur um jetzt Zeit zu gewinnen. Ich bin ein bisschen beschwipst und fühle mich warm, angekommen, möchte Björn gern berühren, aber ich traue mich nicht, meine Hand nach seiner auszustrecken.
    «Weißt du was?», fragt Björn. «Ich zeige dir etwas. Etwas, von dem nicht jeder gleich sieht, wie schön es ist. Mal sehen, ob du weißt, was ich meine.»
    Er zahlt, und wir gehen hinaus. Es ist kühl geworden. Hinter den Schaufenstern leuchten fahle Lichter, als wir die Straße hinunter in Richtung Bahnhof gehen. Bäume säumen den gepflasterten Gehweg, kleine Ladenlokale reihen sich aneinander. Björns Finger schieben sich zwischen meine Finger. Er schaut mich nicht dabei an, es ist, als sei es selbstverständlich. Ich wage kaum zu atmen, wage nicht, etwas zu sagen, aus Angst, dass er seine Hand wieder aus meiner nimmt.
    Wir gehen über eine große Kreuzung und passieren ein Hotel, ein großes goldenes Gebäude, dahinter ein weißer Bau mit türkisem Dach, er wirkt sakral, wie eine Synagoge.
    «Das ist die Philharmonie, der Saalbau», sagt Björn. «Und dahinter, rechts rein, ist direkt das Aalto-Theater. Findest du es schön?»
    Ich nicke. Es ist tatsächlich schön. Scheinwerfer strahlen die Außenwände an, die wie aus Alabaster wirken. Ich zittere leicht. Die Kälte kriecht mir in

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