Da gewöhnze dich dran
’ne Nachricht.»
«Du pflegst eine Facebook-Brieffreundschaft mit Jürgen Klopp?», frage ich.
Eichhörnchen steht noch immer da und grinst sich einen. «Macht sie schon lange. Und Jürgen», er zieht mit dem Finger sein Augenlid nach unten, «antwortet sogar jedes Mal.»
«Das macht der doch nicht selbst», wende ich ein.
«Woher willze dat so genau wissen?», meint Mel. «Kanner doch auch selbst sein.»
«Was schreibt er denn so?», frage ich.
«Dat ich ’n schniekes Bild auf meim Profil hab. Und dat ich noch ziemlich knackich ausseh für mein Alter.»
«Das schreibt dir also Jürgen Klopp?»
«Nachdem ich gesacht hab, dat ich zu Cardio X-treme geh.»
«Aha.» Das kann sie doch unmöglich ernst meinen.
«Na ja», sagt sie. «Ich weiß ja, dat der Kloppo seine Marketingfuzzis anne Hand hat. Aber wat soll’s? Ich fühl mich jedes Mal gut, wenn ich ihm geschrieben hab. So gereinicht. Er antwortet ja auch imma. Und wie gesacht: Wer weiß – vielleicht issert tatsächlich.»
Tja. Wer weiß.
Es gibt Menschen hier, die es mir leicht machen: Melanie, die mich in ihr Herz geschlossen hat und es mir fast täglich ausschüttet, die mit mir über die Autobahn radelt, die mich mit Katrin bekannt gemacht und mich so mit der Mannschaft verbandelt hat; die Mannschaft, die mich aufnimmt, ohne Vorbehalte, mit der ich schwitze, mit der ich leide und mit der ich scherze und die mir direkt eine Aufgabe übertragen hat; Schmidtchen, dieser kauzige Typ aus dem Erdgeschoss, und Lisbeth, die gestern erst wieder bei mir vorbeigekommen ist, einen Fächer mit Grußkarten und eine Sammelbüchse in der Hand, die nur ein paar Euro von mir haben wollte für die Caritas, dann aber auf meinem Sofa sitzen blieb, bis Schmidtchen besorgt nach ihr fragte. Die mir von ihrem Mann erzählt hat, wie sie sich kennengelernt haben beim Tanztee in der Gastwirtschaft; wie sie ihn anfangs nur heimlich treffen durfte, denn er hatte keinen guten Leumund – seine Mutter war eine Zugezogene und noch dazu nicht verheiratet, als Schmidtchen 1933 , im Jahr der Machtergreifung, gezeugt wurde. Er war also ein Fünf-Monats-Kind; das kam nicht gut an in diesem Stadtteil im Norden mit dem Schlosspark und der Kirmes, die ihren Ursprung in einem Kirchweihfest hat. Lisbeth hat ihren Rudolf trotzdem genommen, hat erst so getan, als könnte sie ihm widerstehen, hat ihn abgewiesen, ihm die kalte Schulter gezeigt und dabei kokett über ebendiese geschaut, sodass er bemerken durfte, bemerken
musste
, dass noch nicht aller Tage Abend war, dass er nur dranzubleiben brauchte, er, der knapp am Bastardsein vorbeigeschrammte Grubenjunge jener Zeche, in der Lisbeths Onkel dreizehn Jahre zuvor bei einer Schlagwetterexplosion umgekommen war.
Wegen dieses Onkels war Lisbeth vom ersten Kennenlernen an von der Angst besessen, auch Rudi könnte umkommen, tief unter der Erde, weil wieder einmal Gas ausgetreten war. Bei jedem Knall, den sie hörte, zuckte sie zusammen, in Sorge, der Wettersteiger wäre nicht wachsam genug gewesen und Rudi läge in der Grube, begraben von Gestein. Weil sie bald mit ihren Nerven am Ende war und weil sie mit Rudi gerne die Liebe erleben wollte, die richtige, die körperliche, bevor dieser unweigerlich umkommen würde, ließ sie schon nach zwei Monaten das Kalte-Schulter-Zeigen sein – obwohl ihre Freundinnen geraten hatten, mindestens drei, besser fünf Monate durchzuhalten, das sei eine Frage der Schicklichkeit und zudem für ihr weiteres Zusammenleben von entscheidender Bedeutung. Denn wenn sie ihm schon vor der Ehe den Eindruck vermittele, es genüge, ihr für kurze Zeit schöne Augen zu machen, sich also nur minimal zu mühen, dann strenge er sich auch in ihrer späteren Beziehung nicht an und lasse sie binnen kürzester Zeit, kaum sei das erste Kind geboren, mit ihren Sorgen alleine.
Nachdem sie ein halbes Jahr miteinander gegangen waren, sprach Rudi bei Lisbeths Eltern vor, in dem herrschaftlichen, mit Efeu berankten Fachwerkhaus, im Arm eine Zigarre für den Schwiegerpapa und einen Strauß Nelken für die Schwiegermama, was beides zum Erfolg führte, auch wenn Lisbeth ihn später tadelte, Nelken seien Beerdigungsblumen und dem Anlass nicht angemessen gewesen, es habe alles schiefgehen können, das Ganze habe auf Messers Schneide gestanden, nur wegen der Floristik. Dass ihre Mutter diese Tölpelei ihr gegenüber niemals erwähnte, obwohl, dessen war sich Lisbeth sicher, sie genau dasselbe gedacht habe, ja, die Nelken sogar als Affront
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