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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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und ohne Leidenschaft?»
    «Vielleicht sind Stinos auch leidenschaftlich. Nur anders.»
    «Diese Art von Leidenschaft, die Männer aufbringen, die ’n Aquarium haben und in einem Modelleisenbahnclub sind, der nach seiner Spurweite benannt is?»
    «Ja», sage ich und lache. «So in etwa.»
    «Wisst ihr was?» Eichhörnchen steht plötzlich in der Tür. Wir haben ihn nicht bemerkt
    «Am Mittwoch gehe ich klettern», sagt er. «Da nehme ich euch einfach mit. Dann kann Melanie sich ablenken.»
    Schon kurz nach unserem Ausflug ins Stadion hat sich unser Verhältnis wieder entspannt. Die wenigen spitzen Bemerkungen, die Eichhörnchen noch gemacht hat («Nächstes Wochenende wieder im Stadion mit deinem Freund?», «Wie läuft’s mit der Bratwurst?»), habe ich unkommentiert ins Leere laufen lassen – seither lässt er das Thema ruhen. Ich könnte allerdings schwören, dass Mel ihn sich in einer stillen Stunde mal zur Brust genommen hat, auch wenn sie es bestreitet.
    «Du kletterst?», frage ich, etwas ungläubig. «In einer Kletterhalle? Seit wann?»
    «Seit ein paar Jahren. In einer Halle in Bochum. Macht euch also keine Gedanken. Ich kann euch sichern, und den Rest werden wir sehen. Ich hatte eh vor, euch mal zu fragen, und jetzt machen wir es einfach.»

    Am Abend gehe ich im Netto vorbei, den ich in Einklang mit Schnecke und Alina «Ghettonetto» getauft habe. An der Kasse sitzt heute wieder die misanthropischste Kassiererin des Ruhrgebiets; sie arbeitet seit drei Wochen hier, ist jung, blondgefärbt, trägt Glitzernagellack und verachtet ihre Kundschaft. Mit zusammengekniffenen Augen und zu einem Strich gepressten Lippen hockt sie krummrückig hinter ihrem Scanner, ihr Blick ein Laserschwert.
    Ihre schlagkräftigste Waffe ist aber nicht ihre Mimik. Ihr Dolchstoß ist das Kassenband, das sie mit Präzision und Niedertracht entgegen jeglichen Serviceregeln bedient. Ist der Kunde gerade dabei, Waren aufzulegen, hält sie es an. Zwischen ihr und dem Beginn der Waren sind noch zwei Armlängen Platz, der Kunde könnte noch viel auflegen, aber sie kassiert zunächst den Vordermann ab, blind für die Bedürfnisse des Nachfolgenden, taub für seine Bitten. Erst, als sie damit fertig ist, stellt sie es wieder an – und wird gleichzeitig zur Besessenen, wenn sie beginnt, die Waren einzuscannen. Zwei, drei, vier Teile pro Sekunde. Piep! Piep! Piep! Piep! Mit ihren Glitzernägeln krallt sie sich die Packungen, zieht sie über den Scanner und wirft sie auf das Förderband hinter der Kasse. Niemand kommt so schnell nach mit dem Einräumen, jeder ist ja noch mit dem Auflegen beschäftigt. Die eingescannten Waren schieben die frischen, bereits kassierten Einkäufe zu einem Knäuel zusammen, Wasserflaschen zerpressen die Tomaten, Nektarinen bangen um ihr Leben.
    Ich greife hektisch nach den Einkäufen, stelle sie in den Wagen. Milchpackung an Milchpackung, Sauerkrautdose zur Rotkohldose, Joghurt weiter hinten in Sicherheit, das hier ist Tetris im zwölften Level.
    Als sie einen Wirsing zu fassen bekommt, fragt sie: «Wat is dat denn? Salat?»
    «Nee», sage ich, «das ist Wirsing.»
    Sie blättert in ihren bebilderten Täfelchen und tippt eine Nummer in die Kasse ein.
    «Dreiundzwanzig Euro drei!», brüllt sie – dann befiehlt sie: «Drei Cent!»
    Sie fragt nicht, ob ich es passend habe: Sie ordnet Kleingeld an. Ich könnte die Centstücke nun auf das Warenband legen, einzeln nebeneinander, sie würde sie niemals von dort aufheben können – mit ihren überlangen, mit Strasssteinen verzierten Gelnägeln. Doch ich lasse es und gebe sie ihr einfach.
    Vollbepackt eiere ich an diesem Abend über vereiste Bürgersteige nach Hause. Es hat noch einmal geschneit, der Schnee knirscht unter meinen Füßen. Einen Moment lang stelle ich mir vor, dass ich Björns Auto am Straßenrand entdecke, dass er im Treppenhaus auf mich wartet, dass er hier ist, um mich zu überraschen – eine spinnerte Idee, ein kleiner Wunschtraum.
    Es stehen nur die üblichen Wagen an der Straße, und als ich in den Flur trete, wartet auch niemand auf dem Treppenabsatz auf mich. Der Anrufbeantworter zeigt null neue Nachrichten an, auf meinem Handy: nichts.
    Ich liege schon im Bett, eine Wärmflasche an den Füßen, vom Federbett fest umgewickelt, als mein Handy klingelt. Auf dem Display leuchtet auf: «Björn.» Ich lasse es eine Weile klingeln, sammel mich, dann hebe ich ab.
    «Hey, Süße, tut mir leid, ich hatte den ganzen Tag zu tun. Bist du noch

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