Da gewöhnze dich dran
wach?»
Natürlich, sonst wäre ich nicht rangegangen.
«Nur ein bisschen», sage ich, kurz angebunden.
«Okay. Kein Problem. Dann rufe ich morgen wieder an.»
«Nein, nicht. Ich bin noch fast auf.» Ich sollte ihn abblitzen lassen, sollte ihn ignorieren, sollte ihm sagen, dass ich schlafen möchte, sollte ihn abwürgen.
Björn lacht. «Wie war dein Tag? Ich habe dich vermisst.»
«Ich vermisse dich auch. Ich würde dich gerne mal wiedersehen.»
«Kannst du Schlittschuh laufen?»
«Wieso fragst du?»
«Kannst du – oder nicht?»
«Das letzte Mal, als ich Schlittschuh laufen war, hatte ich danach eine Schädelprellung und musste vier Tage im Krankenhaus liegen.»
Wieder lacht er. «Oje, das sind keine guten Voraussetzungen.»
«Warum möchtest du mit mir Schlittschuh laufen?» Seit drei Wochen haben wir uns nicht mehr gesehen. Er hatte Weihnachtsfeier im Betrieb, seine Tochter war da, dann fühlte er sich krank. Ich habe es aufgegeben, mich dagegen zu wehren, habe aufgehört, mir gemeinsame Abende zu wünschen und ihn danach zu fragen, wann wir uns wieder treffen. Doch nun klingt er euphorisch, wie im Herbst, als er nicht von mir lassen konnte.
«Hast du am zweiten Weihnachtstag schon etwas vor?», fragt Björn.
«Familientreffen ist am ersten.»
«Dann pack dir Schal und Handschuhe ein und komm zu mir. Ich hole dich um 16 Uhr am Bahnhof ab. Ist das okay für dich?»
«Wo gehen wir denn hin?»
«Lass dich überraschen, Süße.»
«Wenn ich an der Wand bin, denke ich an nichts, nur an den nächsten Schritt», sagt Eichhörnchen auf der Fahrt nach Bochum. «Es gibt nichts Besseres, um den Alltag für ein paar Stunden zu vergessen.»
Wir haben uns in Melanies Auto gequetscht, einen lila Twingo mit Wimpern, und fahren durch sanftes Schneetreiben. A 40 , A 43 – der Weg in die Kletterhalle führt über mehrere Autobahnen. Es ist bereits dunkel.
Als wir die Klettergurte übergestreift haben und vor einer senkrechten Wand stehen, sagt Eichhörnchen: «Ihr macht erst mal eine 3 er-Route.»
Wir stehen auf einer hölzernen Plattform. Zu unseren Füßen liegt eine monumentale Halle mit künstlichen Felsen, Seile hängen von den Decken, Griffe in verschiedenen Farben bedecken die künstlichen Steine; von weitem sieht es aus, als blicke man in eine Tüte Hundefutter. An der gegenüberliegenden Hallenseite klettern die Könner, hängen wie Käfer mit dem Rücken nach unten an überhängenden Platten, wippen, nehmen Schwung und greifen beherzt nach dem nächsten Board, hangeln sich empor, verfehlen es und fallen ins Seil.
«Was war vorher hier drin?», frage ich Thorsten. «So eine große Halle kann sich doch kein normales Kletterzentrum leisten.»
«Zeche Constantin», antwortet er. «Das hier war die Maschinenhalle. Wer fängt an?»
Ich erkläre mich bereit, zuerst aufzusteigen. Er nimmt das Sicherungsseil, führt es vor meinem Bauch durch den Gurt und windet es dann wie eine Acht durch sich selbst hindurch. «Oben sollte immer eine Handbreit rausgucken», sagt er und zieht fest am Seilende, «denn ein bisschen gibt es ja nach, wenn du reinfällst. Und jetzt los.»
Ich packe einen Klettergriff und steige auf den ersten Vorsprung. Die Wand ist senkrecht, ich merke schon nach drei Zügen, dass das hier eine anstrengende Veranstaltung wird. Ich fühle mich wie ein Sack Kartoffeln, suche nach dem nächsten Halt, greife nach oben, aber herrje, die nächste Möglichkeit ist so weit entfernt, dass ich auch mit Recken und Strecken kaum rankomme.
«Nicht so weit! Zieh erst den Fuß nach!», ruft Thorsten von unten. Ich blicke hinab, sehe auf seine Eichhörnchenhaare, die aus dieser Perspektive erstaunlich licht sind, ein Hubschrauberlandeplatz mit Grasbewuchs rundherum.
«Da ist nichts!», rufe ich zurück.
«Doch, linkes Bein!»
«Darauf steht mein ganzes Gewicht!»
«Arbeite aus den Beinen und häng nicht rum wie ein Orang-Utan!»
Danke, Schlaumeier. Mein rechtes Bein steht leicht versetzt, meine Finger schmerzen, ich klammere mich an der Wand fest, ziehe mich hoch, drücke mich ab, aber wo war jetzt noch mal der Vorsprung für das linke Bein? Erschöpft falle ich ins Seil.
«Hab dich!», ruft Eichhörnchen.
Ich habe noch nicht einmal die Hälfte der Wand geschafft. Wie ernüchternd. Dabei sieht es so leicht aus. Ich habe mir vorab Klettervideos bei YouTube angeschaut, dort war das alles kein Problem.
«Willst du es noch mal versuchen, oder soll ich dich runterlassen?», fragte Thorsten.
«Runter!»,
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