Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
Vom Netzwerk:
Köpfen die Hallen. Iosif bleibt unbeirrt und trainiert uns weiter wie bisher. Mit liebevoller Härte lässt er uns Sidesteps machen, Abwehrbewegung vor und zurück, abstoppen, kleine Schritte, schnell, schnell. Wir üben Angriffswellen und Wurftäuschungen, wir wiederholen unsere Spielzüge, bis sie sich eingeschliffen haben, bis jeder sie von jeder Position spielen kann. Irgendwann müssen wir beim Passen kaum mehr hinschauen, ein kurzer Blick, dann ist alles klar, und wir wissen, wo die andere unseren Weg kreuzt. So gewinnen wir unser viertes Spiel, nicht bravourös, aber ungefährdet – 24 : 22 , unser erster Sieg. Danach geht es bergauf. Wir gewinnen auch das fünfte Spiel, erreichen ein Unentschieden im sechsten und siegen im siebten, achten und neunten. Es ist jetzt Dezember, die Rückrunde ist fast vorbei. Bei den letzten Spielen ist Björn nicht mehr dabei. Er hält sich nun auch mit Anrufen zurück, seine E-Mails sind pflichtbewusst, als arbeite er eine Aufgabe ab: einmal am Tag Nessy schreiben, so steht’s im Vokabelheft. Seine bis dahin so liebestrunkenen Worte weichen schmucklosen Alltagsbeschreibungen: Heute Morgen habe ich dies erledigt, heute Mittag jenes, in der Kantine gab es Rosenkohl, und gleich werde ich noch einkaufen, schlaf gut, ich hab dich lieb.
    Ich spreche ihn darauf an, möchte wissen, was los ist. Björn sagt, er stehe unter Druck, müsse arbeiten, fühle sich nicht gut – und bittet mich um Verständnis. Er klingt formell dabei. Ich sage nichts, weil mir bewusst ist, dass wir keinen Anspruch aufeinander haben. Wir sind nur verliebt, es gibt keine Verbindlichkeiten, keine Gewohnheitsrechte. Ich frage ihn, ob er mich vermisse, und er beteuert: natürlich. Doch seine Antwort kommt reflexhaft und fahrig, ich glaube ihm nicht, sage aber nichts.
    Nur ein paar Stunden später schreibt er mir eine Mail, so heißblütig, dass ich stumm lesend erröte, wir verabreden uns für den nächsten Abend, mitten in der Woche, wir küssen uns, lieben uns, halten uns bis zum Morgen. Er drückt mich gegen seine Brust, küsst mich aufs Haar, atmet tief ein. Danach eine Woche nichts, Funkstille, er geht nicht ans Telefon, antwortet nicht auf Mails.
    Am nächsten Montagabend entschuldigt er sich: Er habe Sorgen, seine Frau sei krank, nichts Ernstes, er wolle mich damit nicht belasten, aber am Wochenende habe er seine Tochter betreuen müssen, außer der Reihe, es gehe nicht anders – und dann die Arbeit, die vielen Termine, es werde ihm alles zu viel im Moment.
    Ich verzweifle. Doch dieses Hin und Her an Verliebtheit und Nichtbeachtung, an Hingabe und Gedankenlosigkeit zermürbt mich. Ich bin verrückt vor Sehnsucht – und ich fürchte mich vor dem nächsten Telefonat, der nächsten Mail, dem nächsten Treffen, vor seiner Gefühllosigkeit, seiner zurückweisenden Oberflächlichkeit.
    Ich erzähle Katrin von Björn und mir, von seinem Rückzug, seinem plötzlichen Wankelmut. Katrin und Schnecke sind in den vergangenen Monaten mehr als Mannschaftskameradinnen geworden: Katrin mit ihrer zaghaften Zurückhaltung, Schnecke mit Poltern und Schenkelklopfen, beide mit dem Herzen am rechten Fleck. Wir sehen uns dreimal, manchmal viermal in der Woche – zum Laufen, zum Training und zum Spiel. Nicht immer reden wir viel, doch immer lachen wir miteinander, necken uns, und jenseits des Spaßes ist jeder von uns klar: Wenn etwas ist, sind wir füreinander da.
    In stillen Momenten, wenn ich abends im Bett liege, wenn ich innehalte und über die fünf Monate nachdenke, die ich nun schon hier wohne, bin ich selbst erstaunt, wie schnell ich ein Zuhause gefunden habe, wie vorbehaltlos ich aufgenommen wurde. Ich vermisse nichts – im Gegenteil: Ich habe so viel gewonnen.
    Ich erzähle Katrin also von Björn, aber sie weiß nicht viel zu seinem Verhalten zu sagen, meint, vielleicht sei einfach nur die erste Leidenschaft verflogen, das werde sich schon alles geben, möglicherweise habe er wirklich viel zu tun, vor Weihnachten nehme schließlich kaum einer Urlaub, allerorts müssten die Dinge bis zum Jahresende fertig werden, dazu das graue Wetter, da könne es einem schon mal zu viel werden, ich solle mir keine Sorgen machen. Ich nicke und strenge mich an, entspannt zu sein, nichts von Björn einzufordern, ihm nicht lästig zu werden, denn ich mag Frauen nicht, die klammern und Besitz ergreifen, die ihren Wert an der Wertschätzung ihres Partners messen. Also halte ich mich zurück, überlasse ihm täglich das Guten Morgen,

Weitere Kostenlose Bücher