Da gewöhnze dich dran
bis er oben anschlägt und sich mit nach vorne gestreckten Beinen auf den Boden hinablässt.
«Das war krass gut», sage ich, aufrichtig beeindruckt.
«Danke.» Er errötet. «Bald kannst du das auch. Es ist nichts dabei.» Er löst das Sicherungsseil vor seinem Bauch. «Wo ist Mel?»
Ich deute hinter Thorstens Rücken auf Melanie, die sich von Helmut erklären lässt, wie man sichert und Seile knotet.
Thorsten löst das Sicherungsseil von seinem Geschirr. Ich sehe ihm dabei zu, beobachte, wie seine Finger den Strick durch die Öse ziehen. Thorsten hat erstaunlich kleine Hände für einen Mann, klein, mit kräftigen, kurzen Fingern.
Gleichzeitig heben wir den Kopf. Für einen kurzen Moment sind unsere Nasenspitzen nur eine Handbreit voneinander entfernt, ich kann seine Haut und seinen Schweiß riechen, spüre, wie er ausatmet.
«Lass uns fahren», sagt er. «Es ist schon spät.»
Auf dem Weg nach Hause sitzt Melanie hinterm Lenkrad und monologisiert versonnen, während wir über salzgestreute Straßen schlittern und durch Schlaglöcher zur Autobahn rumpeln – über Straßenbahngleise und Kopfsteinpflasterreste, vorbei an Backsteinmauern, hinter denen Schrotthändler Alteisen sammeln.
«Ein toller Typ, findet ihr nich? Ich mein, okay, er steht auf Schalke, und dat, obwohl er aus Dortmund kommt. So watt kann ich ja nich verstehen, dat is natürlich ’n Problem. Aber ansonsten. Habt ihr seine Arme gesehn? Dat nenn ich deutsche Eiche. Und keine Altlasten. Zwei Kinder, die sind abba schon groß. Frau is widda verheiratet. Also allet kein Problem, ’n freier Mann.»
«Es hat ihm gefallen, wie du geklettert bist», sage ich.
«Meinste wirklich?»
«Hat er mir gesagt.»
«Als er plötzlich da unten stand, da hat’s mich auch gepackt. Ich meine – dat lass ich nich einfach so auf mir sitzen, wenn da ’n Typ wie ’n Baum steht, adrett wie Kloppo, und meint, ich wär zu doof, um ’ne Wand hochzukommen.»
Wir biegen auf die A 43 ab.
«Wir ham Telefonnummern getauscht. Also nich, dat ihr denkt, ich stürz mich gleich auf den nächsten Typen. Aber so ’ne Gelegenheit … Nessy, was meinst du?»
«Warum nicht?»
«Ebent, warum nich, hab ich mir auch gesacht. Ihr glaubt ja gar nich, wat ich allet schon mitgemacht hab, seit ich mich vor zehn Jahren vom Holger hab scheiden lassen. Am schlimmsten war dieser Versicherungsfritze. Roger hieß er, wie dieser Cicero. Hat mir erzählt, dat er sein Büro auf eine Etage mittem Vorstandvorsitzenden hat. Aufm Männerklo am Pissoir täten se die Geschäfte regeln. Er hat gemeint, mich beeindrucken zu müssen mit seine Kontakte zum Vorstand. Im Grunde wie der Marcos. So ’n armet Würstken. Beide.»
Es hat wieder zu schneien begonnen.
«Wenn det genau nimmst, isset ja ganz einfach als Frau. Du musst nur rausfinden, auf wat die Kerle stehen, und dann mit ihrer Phantasie spielen. Die Phantasie einet Mannes is die stärkste Waffe der Frau. Merk dir dat, Nessy, für später. Und du, Thorsten, hör wech.»
Thorsten und ich sehen uns durch den Außenspiegel hinweg an, denn ich sitze auf dem Beifahrersitz und er hinter mir – wenn ich in den Spiegel an der Tür blicke, sehe ich ihm genau ins Gesicht. Er grinst einfach nur, so wie er grinst, wenn er im Türrahmen steht.
«Männer wollen entweder ’ne total starke Frau oder ’ne total schwache Frau. Kommt beides vor. Musste gucken. Will der Mann ’ne starke Frau, isset einfach, dann kannze bleiben, wie de bis. Will er ’ne schwache Fraue, musse dat ’n bissken üben – ich krich dat meistens nich hin. Dauerhaft, meine ich. Kann mich einfach nich verstellen. Seh ich auch nich ein.»
Wir wechseln am Kreuz Bochum auf den Ruhrschnellweg. Der Schnee fällt nun in kleinen Grieseln. Ich bin müde, das Schunkeln des Autos, die Dunkelheit, die vorbeiziehenden Lichter und die Wärme, die aus der Lüftung bläst, machen mich schlaftrunken.
«Macht et dir wat aus, wenn ich dich bei Nessy rauslasse?», fragt Melanie und blickt dabei kurz über ihre Schulter zu Thorsten.
«Schon okay», meint er.
Wir fahren die B 54 hinunter nach Hörde. Sie setzt uns vor meiner Haustür ab.
«Danke!», sage ich und steige aus. Thorsten kriecht von der Rückbank und bedankt sich ebenfalls. Melanie fährt in ihrem Wimperntwingo davon.
«Weiß du jetzt, wo du hinmusst?», frage ich Thorsten.
Es ist ein merkwürdiger Moment, hier in der Dunkelheit. Die Straßenlaternen beleuchten den fahlen, unter unseren Füßen knirschenden Schnee. In der Luft
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