Da gewöhnze dich dran
stellte: Wie kam das Christkind Anfang Dezember an meinen Wunschzettel, den ich immer innen auf mein Fensterbrett legte? «Es kann durch Glas fliegen.» Wie kam das Christkind an Heiligabend in unser Wohnzimmer? «Wir lassen die Balkontür offen.» Wo es aber Anfang Dezember noch durch Glas fliegen konnte! Wie kann es gleichzeitig so viele Kinder auf der Welt beliefern? «Wegen der verschiedenen Zeitzonen auf der Erde muss es das nicht gleichzeitig machen.» Warum kann das Christkind die Kerzen nicht alleine anzünden? «Weil es noch ein Kind ist, und Kinder dürfen nicht mit Feuer spielen.» Warum dürfen nur Mütter dem Christkind helfen? «Darum.»
Nach Abwägen aller Widersprüche war mir klar: Es gibt zwar Ungereimtheiten in der Causa Christkind, allerdings keine stichhaltigen Beweise für seine Nichtexistenz. Im Grunde gab es sogar gute Gründe für das Christkind. Bis ich acht oder neun war, glaubte ich deshalb ans Christkind – daran konnten selbst meine Schulkameraden nichts ändern.
Den Heiligabend verbringe bei meinem Vater. Wir essen Ente, geben uns Geschenke und trinken Wein bis weit nach Mitternacht. Wie es mit den Männern laufe, fragt er mich, als seine Perle bereits zu Bett gegangen ist und wir leicht angeschickert sind.
Leidlich, antworte ich, und er brummt wissend. Ja, sagt er, es sei nicht leicht als Frau in meinem Alter, da witterten die Männer direkt einen Kinderwunsch, und davon abgesehen, sei ja auch der Männermarkt nur noch eine Resterampe: Wenn jemand bis Mitte 30 nicht untergekommen sei, gebe es dafür gute Gründe, da solle ich mir keine Illusionen machen. Entweder habe er zu hohe Ansprüche, gehörig einen an der Waffel, oder er sei sozial gestört, was aufs selbe rauskomme, man könne also zusammenfassen, dass es sich bei denjenigen, die jetzt noch im Rennen seien, um Ausschussware handle. Bei Frauen sei das natürlich etwas anderes, sagt er und legt mir dabei väterlich eine Hand auf den Oberschenkel, Frauen seien zwar insgesamt neurotischer veranlagt, im Großen und Ganzen aber anpassungsfähiger; überhaupt gebe es unter Frauen weniger bizarre Sorten, von einigen antoupierten Schlagerfans einmal abgesehen.
Ein weiteres Problem sei, dass der Secondhandmarkt der Männer gerade erst eröffnet werde, die ersten Scheidungen liefen zwischen 35 und 40 , selten eher, auf dieses Lebensalter müsse man dann noch eine Karenzzeit von einem oder zwei Jahren draufrechnen, in denen die Männer ihre Gefühle und ihre Finanzen ordneten, erst dann seien sie wieder reif für den Gebrauchtverkauf. Ich wolle schließlich keine Übergangsfrau sein, eine, die man nur nimmt, um sich über die alte Beziehung hinwegzutrösten.
Vater seufzt und nimmt noch einen Schluck Wein. Ja, sagt er, es sei schwierig für mich, wirklich schwierig, das sehe er ein. Dann blickt er mich an und sagt: Amen.
Am ersten Weihnachtstag fahre ich zuerst zu meiner Mutter. Sie hat Sauerbraten mit Klößen und Rotkraut gekocht, eine Kombination, wie sie traditioneller nicht sein könnte. Es schmeckt köstlich. Meine Mutter ist eine der besten Köchinnen, die ich kenne – oder nein, reden wir die Sache nicht klein: Sie ist die unumwunden beste Köchin auf diesem Planeten, zumindest was die deutsche Hausmannskost angeht. Wie alle Mütter, deren Kinder das behaupten, kocht sie niemals nach Rezept, sondern hat Zutaten, Mengen und Zubereitung verinnerlicht wie ein Klavierspieler, der nicht nur ohne Noten spielt, sondern der sogar Unbekanntes ohne ein einziges Blatt Papier vorträgt. So wie ein Musiker nach Gehör spielt, so kocht meine Mutter nach Gefühl, und es ist jedes Mal großartig.
Ich habe meinen Laptop mitgebracht, und wir schauen uns Fotos meiner Mannschaft an – außerdem Bilder meines neu eingerichteten Wohnzimmers, mit neu drapiertem Teppich und angedübeltem und eingeräumtem Wandregal. Danach fahre ich weiter zu Unsaomma.
Sie hat wieder ein Gebiss. Als ich in ihr Zimmerchen komme, sitzt sie in ihrem flauschig-braunen Seniorensessel und bleckt die Zähne wie die Grinsekatze aus dem Wunderland.
«Du hast ja wieder Zähne», sage ich fröhlich.
«Schön, woll!», sagt Unsaomma.
«Sieht gut aus. Sitzen die auch richtig?»
Unsaomma macht mit ihrer Tatterhand eine wegwerfende Geste. «Der Schlappen ischnbischn locker», sagt sie und schiebt zum Beweis ihre Zunge unters Gebiss und lässt es aus dem Mund in ihre Hand fallen.
«Dann musst du jetzt beim Pipimachen den Mund zulassen und durch die Nase atmen.»
Sie
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