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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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spazieren und macht schließlich um 16 Uhr Feierabend.
    «Ich halt dat nich mehr aus mit diesem Klumpen. Kannze mich nich nach Hause fahrn, Nessy? Ich guck auch noch ma in meine E-Mails, wenn ich auf’m Soffa sitz. Abba dann kann ich mir wenigstens ’n Kissen unter mein Arm legen.»
    Ich helfe ihr in ihre Jacke, eine weiße fellbesetzte, mit einem glänzenden Gürtel versehene Steppjacke, in der sie aussieht wie ein Schneemann mit Strasssteinen. Als wir unten am Auto sind, steht Eichhörnchen plötzlich da.
    «Ich fahre mit», sagt er. «Falls ihr noch Hilfe braucht.»
    «Hast du nichts mehr zu tun?», frage ich.
    «Sedat ist ja noch da.»
    Wir steigen in Mels Wimperntwingo, sie und ich vorne, Thorsten wieder auf dem Rücksitz. Während ich fahre, beobachte ich ihn im Rückspiegel. Er sieht aus dem Fenster. Seine Haare trägt er seit einer Woche kürzer, weniger eichhörnchenhaft. Die Pinsel sind verschwunden, der Kopf ist geschoren. Er wirkt nun fast wie ein Hipster, wie einer Werbeagentur entsprungen – überraschend gut, überraschend wie ein Mann.
    Vor ihrer Haustür sagt Melanie, während sie sich aus dem Auto windet: «Könnt ihr noch mit hochkommen, mir ’n Brot schmieren? Und ’ne Flasche Wasser aufmachen? Ich kann dat mit dem Klumpen hier nich.»
    Melanies Wohnung ist klein, vielleicht fünfzig Quadratmeter, zwei Zimmer, Küche, Bad. Alles ist weiß, nur das Sofa ist orange – oder apricot; mit Farben, die über die Grundfarben hinausgehen, kann ich mich nicht gut identifizieren. Neben dem Sofa steht ein Zimmerspringbrunnen, gegenüber eine Bücherwand mit genau drei Büchern:
Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus, Superweib
und
PS : Ich liebe Dich
. Der Rest des Regals ist sparsam mit einer Lavalampe, einem phosphoreszierenden Bergkristall und einem elektronischen Bilderrahmen dekoriert, in dem allerdings zurzeit keine Bilder angezeigt werden.
    Thorsten und ich gehen in die Küche, eine Möbelhausküche im Landhausstil, und schmieren Melanie eine Kniffte mit Leberwurst und eine mit Marmelade. Wir kochen ihr einen Hagebuttentee und stellen ihr eine Flasche Wasser neben das Sofa – geöffnet, damit sie sich nicht mühen muss. Als wir gehen wollen, fällt ihr ein: «Sach ma, kannze mir vielleicht noch schnell die Haare waschen? Allein krich’ ich dat morgen früh nich hin.»
    Melanie und ich gehen ins Bad. Thorsten beginnt, sich durch das Nachmittagsprogramm zu zappen. Obenrum nur mit einem lila Spitzen- BH bekleidet, beugt Mel sich über den Badewannenrand, ich shampooniere ihr die Haare und massiere ihr die Kopfhaut, bis sie vor Freude brummt.
    «Dat is besser als inne Wellnessanstalt», sagt sie. «Mit meim Arm geht’s direkt bergauf.»
    Dann föhnen wir, sie auf dem Klodeckel sitzend, während ich hinter ihr stehe. Ich fuhrwerke mit der Rundbürste herum, Mel dirigiert mich.
    «Nich so ’n Ballon auf den Hinterkopp!», befiehlt sie. «Und anne Seiten nich so platt.»
    Nach einer Stunde sind wir fertig mit dem Pflegeprogramm, Mel hat sich aufs Sofa zu ihren Butterbroten verabschiedet, und Thorsten und ich stehen vor ihrem Auto auf der Straße.
    «Soll ich dich noch nach Hause fahren?», frage ich ihn.
    Unsere Verlegenheit ist mit Händen zu greifen. Ich senke den Blick. Wir haben nie wieder über unseren Kuss gesprochen, nicht am Tag nach Neujahr, als wir uns wiedersahen, und auch nicht später. Ich habe gewartet, dass er etwas sagt, etwas wie: «Hey, ich fand’s sehr schön im Dezember, auf der Straße vor deinem Haus.» Oder: «Lass es uns vergessen, es war ein Fehler.» Egal, was.
    Stattdessen ist er unverbindlich, ist maulfaul und ablehnend. Dabei ist das, was zwischen uns ist – oder das, was nicht zwischen uns ist –, mit den Händen zu greifen. Wenn wir alleine im Raum sind, ist es eine läutende Glocke, ein Hochspannungsmast, eine Rückkopplung im Lautsprecher. Wir vermeiden es inzwischen beide, zu zweit zu sein – zu offensichtlich ist die Notwendigkeit, noch einmal Worte über uns zu verlieren.
    «Das wäre nett», antwortet er auf meine Frage.
    Ich schließe das Auto auf. Er steigt an der Beifahrerseite ein und sagt mir seine Adresse. Wir fahren in Richtung Innenstadt. Die Lüftung bläst gegen die Frontscheibe. Sie ist beschlagen, wir schwitzen zu stark.
    «Ich bin mal gespannt», sage ich in das Pusten der Luft hinein, «was morgen beim Orthopäden rauskommt. Ob Mel wirklich was gebrochen hat.»
    Ich sage das, um etwas zu sagen, irgendetwas, denn Thorsten schaut schweigend

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