Da gewöhnze dich dran
tief Luft. Ich habe mich wieder ein bisschen im Griff. «Wir sind Kollegen. Das ist … na ja. Never fuck the company. Verstehst du?»
«Ja.» Mehr sagt er nicht. Nur: ja.
Ich habe den Anfang gefunden, jetzt ist es raus, die Richtung ist vorgegeben, jetzt schnell weitersprechen. «Wenn wir uns irgendwo anders kennengelernt hätten …», sage ich. Dann hätte ich ihn niemals geküsst, ihn, ein Eichhörnchen.
«Dann», fahre ich fort. «Vielleicht wäre dann etwas aus uns geworden.»
Er schaut auf seine Hände, die in den Schoß seines Wollmantels zurückgefallen sind und die sich nun gegenseitig festhalten, loslassen, festhalten.
«Okay», sagt er. Er kneift die Lippen zusammen, sie sind nur noch ein schmaler Schlitz. Er sieht wieder aus dem Seitenfenster. Fast glaube ich, dass er sich eine Träne wegzwinkert, aber ich kann es nicht richtig sehen. Es ist zu dunkel.
«Weißt du», sagt Thorsten. «Ich mag dich. Ich denke jeden Tag: Wow, was für eine Frau. Du hast Humor, du bist freundlich, du bist … wie soll ich sagen … du bist so normal. Du bist keine Tussi. Na ja, vielleicht doch. Manchmal. Aber erträglich. Wirklich. Erträglich. Wie auch immer. Ich mag dich.»
Er hebt den Kopf und sieht mir in die Augen. «Ich werde dich nicht weiter belästigen. Ich möchte nur, dass du das weißt. Wir sind Kollegen. Ich werde mich im Büro verhalten wie immer. Und außerhalb des Büros auch.»
Meine Augen brennen, aber ich weine nicht mehr. In den vergangenen Wochen habe ich viele Male darüber nachgedacht, was ich Thorsten gegenüber sage, wenn es so weit ist, wenn wir uns gegenübersitzen wie jetzt und über diesen einen Abend, diesen kurzen Moment sprechen, in dem er das Christkind war. Ich habe an Björn gedacht, habe Björn gespürt. Aber Björn gibt es nicht mehr, nicht in meinem Leben, nie wieder.
«Ich brauche Zeit», sage ich und komme mir wahnsinnig schlecht dabei vor. «Ich weiß: Das sagen viele. Und in Wirklichkeit wollen sie nur nicht die Wahrheit sagen. Ich … es ist schwierig. Er hat mich vor ein paar Wochen verlassen. Na ja, eigentlich schon vor zwei oder drei Monaten. Wir waren auch nicht lange zusammen … du hast ihn ja mal kennengelernt, am Stadion. Aber …»
Ich halte inne. Was möchte ich sagen? Mein Kopf ist leer, ich bin an meinen Worten entlanggelaufen wie an einem Geländer, und plötzlich ist es zu Ende. Ich suche Halt. Und finde ihn.
«Ich mag dich auch», sage ich. «Ich habe erst gedacht, du wärst ein komischer Kauz. Ich bin … ich …» Ich möchte sagen: Ich bin verliebt. Aber ich kriege die Worte nicht über die Lippen.
«Möchtest du noch auf einen Kaffee mit raufkommen?», fragt Thorsten.
Oh Mann. Ich lache. «Auf einen Kaffee, ja?»
«Nicht so!», sagt Thorsten. «Herrgottnochmal!»
Ich lache immer noch. Ein bisschen hysterisch. Es ist so absurd. Ich hier, in Mels Wimpernauto, mit dem Eichhörnchen auf dem Beifahrersitz, stammelnd, frierend, die Scheiben schon wieder beschlagen, jemand bindet sein Fahrrad von der Laterne los, glotzt in unser Auto und fährt davon. Manchmal muss man etwas riskieren. Oder – ach. Egal.
Alles egal.
Einfach mal nicht denken.
«Okay», sage ich. «Ein Kaffee.»
Ich lasse den Motor wieder an. «Wo kann ich parken?»
«Rechts um die Ecke. Da ist immer was frei.»
Thorsten wohnt im dritten Stock. Wir gehen vom Flur direkt in die Küche, die Dielen knarren. Die Küche ist ein großzügiger Raum mit einer ausladenden Kochzeile und einem Gasherd. Gegenüber stehen ein massiver Tisch mit vier Stühlen, ein amerikanischer Kühlschrank und eine Anrichte mit Schubladen. Thorsten nimmt mir die Jacke ab und bringt sie in den Flur.
«Setz dich», sagt er. «Ich habe Wein, Wasser, Milch.»
«Wein», sage ich, und er öffnet eine Flasche Weißen.
Ja, ich möchte jetzt hier sein. Ich möchte sehen, wie er wohnt. Ich möchte mit ihm Wein trinken. Ich möchte mit ihm sprechen. Die ganze Nacht. Jedes Mal, wenn wir uns auch nur ein bisschen näher kommen, überrascht er mich. Im Stadion. Beim Klettern. Und jetzt hier. Diese Küche. So eine Küche hat niemand, der sich nur Tiefkühlpizza aufwärmt. Das ist die Küche eines Kochs, eines Genießers.
Wir stoßen an.
«Auf uns», sagt er.
«Auf uns», sage ich.
Auf der Anrichte stehen Basilikum, Petersilie, eine Kaffeemaschine, ein Messerblock. Zwei gebrauchte Gläser, zwei Teller. Ein Wasserkocher, ein Toaster.
«Ich komme mir wahnsinnig blöd vor», sage ich. «Ich stoße dich vor den Kopf. Es tut
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