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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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mir leid.»
    «Lass gut sein. Lass uns von etwas anderem sprechen. Wie läuft es beim Handball? Katrin erzählte mir, dass ihr Zweiter seid.»
    «Wir sind wirklich gut im Moment. Ich fühle mich sauwohl in der Mannschaft. Am Wochenende sind wir auf einer Hochzeit.»
    «Die Sache mit dem Ruderer.»
    Ich lache und wiege das Glas in meiner Hand. «Die Mädels gehen voll steil. Ich glaube, die Braut macht sich ein bisschen Sorgen.»
    «Dass ihr euch danebenbenehmt?»
    Ich nicke. Der Wein ist gut. Ich fühle mich wohl. Thorsten hat sein Hemd ausgezogen und sitzt im T-Shirt da. Ich sehe seine Unterarme, die Klettererunterarme, und trinke noch einen Schluck Wein.
    «Ich weiß gar nichts von dir», sage ich.
    «Was möchtest du denn wissen?»
    «Ich weiß nicht.»
    Er lacht. «So wird das nichts.»
    «Ich weiß nur, dass ich immer … also, du hast mich schon mehrfach aus den Socken gehauen.»
    «Du meinst, du bist überrascht, dass ich eine normale, aufgeräumte Wohnung habe und in keiner WG wohne, in der sich die dreckigen Teller stapeln und in der ich bis spät in die Nacht gegen meinen Zimmernachbarn zocke.»
    «So in etwa. Nein. Ehrlich gesagt … okay, am Anfang hast du ein bisschen den Eindruck gemacht. Aber ich habe inzwischen geschnallt, dass du kein Freak bist.»
    «Das ist ja fast schon ein Kompliment.» Er lächelt und zwinkert ein Schmidtchen-Zwinkern.
    Ich muss lachen. «Nicht so zwinkern, bitte! Mein Nachbar zwinkert mir auch immer so zu, und er ist über 70 .»
    «Ich mag dich.»
    «Ich weiß.»
    «Prost.»
    «Prost.»
    Ein Schlüssel dreht sich in der Wohnungstür. Klack. Schritte im Flur. Ich spüre einen Windzug. Die Tür fällt wieder zu. Ich erstarre. Gucke Thorsten an.
    «Bin da!», ruft eine weibliche Stimme.
    Thorsten tut, als ob nichts wäre, trinkt von seinem Glas, stellt es auf den Tisch, dreht sich zur Küchentür herum. Dort steht nun ein Mädchen, eins sechzig groß, lange rote Haare, Steppjacke, Jogginghose. Sie lässt eine Trainingstasche neben sich auf die Erde fallen, geht zum Kühlschrank, nimmt sich eine Packung Milch und setzt zum Trinken an.
    «Darf ich vorstellen?», sagt Thorsten. «Meine Tochter Mareike.»
    «Hi», sagt Mareike, kommt zu mir und hält mir die freie Hand hin.
    Das «Hi», das ich ihr reflexhaft entgegne, ist heiser. Tochter. Eichhörnchen hat eine Tochter. Eine Tochter? Eine Tochter! Oh Mann. Sogar eine in der Blüte der Pubertät stehende Tochter. Bestimmt schon dreizehn Jahre alt. Oder vierzehn. Das kann man ja kaum schätzen, meistens sehen sie ja älter aus. Vielleicht ist sie also auch erst zwölf. Eine zwölfjährige Tochter mit roten Eichhörnchenhaaren.
    «Das ist meine Arbeitskollegin Nessy», stellt Thorsten mich vor.
    Mareike verengt ihre Augen zu Schlitzen, trinkt sich einen Milchbart an und setzt mit einem lauten «Aaah!» die Packung vom Mund ab.
    «Na dann», sagt sie, «will ich mal nicht weiter stören.»
    Sie stellt die Milch zurück, nimmt ihre Trainingstasche und verschwindet im Flur.
    «Die verschwitzten Klamotten in die Waschmaschine!», ruft Thorsten.
    «Jaja», tönt es aus dem Dunkel.
    «‹Jaja› heißt: Leck mich am Arsch. Und nicht vergessen: Noch eine halbe Stunde bis Licht aus!»
    Eine Tür öffnet sich, schließt sich, Musik geht an.
    Ich bin von der Rolle. Nehme das Weinglas. Trinke. Es ist leer. Thorsten gießt nach.
    «Sie wohnt bei mir und bei ihrer Mutter. Wir handhaben das ein bisschen lockerer, seit sie größer ist. Ist besser so, haben wir festgestellt. Montags hat sie Training in der Sporthalle da drüben», er deutet mit dem Arm in Richtung Herd, «deshalb übernachtet sie montags immer bei mir. Sie hat einen Schlüssel. Sie spielt auch Handball. Ihre Schule hat einen Spind, dort kann sie die meisten Sachen lassen. Den Rest schleppt sie halt mit sich herum. Wir haben viel mit ihr darüber gesprochen, aber sie mag es so.»
    Ich trinke einen großen Schluck Wein. «Du hast eine Tochter?», frage ich. Es ist die denkbar blödeste Frage, aber ich muss Zeit gewinnen, um mich zu sammeln.
    «Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie von mir ist.»
    «Warum hast du mir nichts von ihr erzählt?»
    «Was hätte ich sagen sollen? ‹Übrigens, Nessy, es passt jetzt nicht zum Thema, wir sollten über die xml-Schnittstelle sprechen, aber ich habe eine Tochter.› So vielleicht?»
    «Nein … ich meine: So natürlich nicht.» Im Jugendzimmer wummert leise Musik. Ich höre Mareikes Stimmes, sie telefoniert anscheinend, doch ich kann nicht

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