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Da gewöhnze dich dran

Da gewöhnze dich dran

Titel: Da gewöhnze dich dran Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Giese
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Aufnahmen, wir zwei, ich die Kamera ausgestreckt, Selbstporträts im Wald, am See, hoch oben von einem Duisburger Hochofen. Mal blickt er gemeinsam mit mir nach vorne, dann wieder sieht er mich verliebt an, spitzt seine Lippen zum Kuss – oder schielt lächelnd in die Kamera, schelmisch, spitzbübisch. Ich strecke die Hand aus und berühre das Foto leicht, streichle ihm über die Wange, presse meine Lippen aufeinander, fühle Sehnsucht, fühle Wut.
    Das Telefon klingelt. Ich sehe auf das Display. Es ist Melanie. Sie hat noch nie sonntagabends angerufen, nicht um diese Zeit. Es ist schon nach acht.
    «Ich glaub, ich hab mir den Arm gebrochen», sagt sie.
    «Du glaubst es? Was spricht dafür?»
    «Ich hab ’n Gips.»
    «Hmm, das spricht tatsächlich dafür.»
    Sie erzählt, dass sie in der Sauna ihres Fitnessstudios ausgeglitten sei. Dass sie in den Städtischen Kliniken war und die Assistenzärztin ihr den Arm bandagiert hat, hoch bis zur Achsel in neunzig Grad.
    «Ich hab mir dat getz so gedacht», erklärt sie. «Du nimmst mein Auto und fährst mich in den nächsten Wochen durche Gegend. Ich kann ja nicht schalten.»
    «Hmmmm …», wende ich ein.
    «Machste, oder? Morgen um acht bei mir.»
    Es bleibt mir nicht anderes übrig, und es spricht ja auch nichts dagegen. Ich stelle mir meinen Wecker eine Stunde eher und fahre zu Melanie nach Aplerbeck. Mit Ach und Weh hievt sie sich, die Tür einarmig hinter sich zuziehend und ihre Handtasche an den Gips gehängt, ins Auto, und ich kutschiere uns zur Arbeit.
    «Und du hast dir den ganzen Arm gebrochen, tutto completto?», frage ich.
    «Elle, Speiche, Ellbogen, Oberarm, Sehne, Kapselriss, die Ärztin war sich nicht sicher. Deshalb hat se direkt allet stillgelegt. Ich glaub, die war frisch vonne Uni.»
    «Gebrochen?», fragt Eichhörnchen, als wir im Büro sind. Er trägt ein Hemd und sieht ziemlich adrett aus.
    Ich mustere ihn von oben bis unten.
    «Hast du einen Termin heute?», frage ich und mache mit beiden Händen eine Geste, als ziehe ich mir am Kragen.
    «Nöö», sagt er. «Es lag oben auf dem Stapel, ich habe dran gerochen, und es war okay. Das ist alles.»
    «Gebrochen, gerissen, das Assistenzmausi konnte sich nicht entscheiden», beantwortet Melanie Thorstens Frage. «Deshalb hat se mich einfach bis zum Hals eingegipst. Ich hol mir für morgen ersma ’n Termin beim Orthopäden. Der soll da nomma draufgucken. Ich glaub nämlich nich, dat dat allet gebrochen is. Dat hat zwar gestern weh getan, als wenn dir einer mit der Stichsäge den Unterarm durchtrennt, aber getz geht et eigentlich.»
    Sie legt ihren Arm rumpelnd auf dem Schreibtisch ab, weiß dann aber nicht, was sie mit der angewinkelten Gliedmaße machen soll.
    «Watt ich euch abba noch gar nich erzählt hab: Der Wauzi war da.»
    Thorsten und ich sehen uns an, versichern uns gegenseitig unser Nichtwissen und zucken synchron mit den Schultern.
    «Wer ist der Wauzi?», frage ich.
    «Kennta nich? Diese Hunde, die et früher gab. Die Stofftiere.»
    «Schon», wende ich zögernd ein. «Aber …»
    «Helmut! Vom Klettern! Findet ihr nich, datt er im Gesicht aussieht wie ’n Wauzi?» Sie nimmt ihre gesunde Hand, zieht ihre Unterlider herab und legt den Kopf schief.
    Eichhörnchen runzelt die Stirn. Ich lache.
    «Jedenfalls: Der Wauzi, also der Helmut, war auch im Fitti. Trainiert da schon seit Jahren. Komisch, dat wir uns noch nie getroffen haben. Abba egal. Wir ham uns dann unterhalten. Der Helmut is Dachdecker, und im Nebenerwerb macht er einen auf Landwirt. Hat ’n Hoff in Kirchhörde, so ’n richtigen Bauernhoff mit Tiere und Gemüse und so.»
    «Und wie hast du dir nun den Arm gebrochen?», fragt Thorsten.
    «Inne Sauna. Ausgeglitten. Und dann lag ich da, nackt natürlich. Abba der Wauzi war ganz professionell, is mir zur Hand gegangen, ohne zu grabbeln. Ich mein, der kennt dat ja bestimmt von seine Viecher, dieset Natürliche.»
    Sie legt den Arm in ihren Schoß. Dort scheint er am besten aufgehoben zu sein, denn Melanie lehnt sich nun entspannt zurück und schlägt die Beine übereinander.
    «’n Bauernhoff, is dat nich knorke? Meine Omma hat imma gesacht: Schönheit vergeht, Hektar besteht. Ich glaub, dat wird wat mit dem. Hab ’n gutes Gefühl.»
    Den ganzen Tag über rutscht sie heute auf ihrem Stuhl herum, legt den Arm auf den Tisch, zurück in den Schoß, wieder auf den Tisch, lehnt sich nach links, stöhnt leise, lehnt sich nach rechts, legt sich ein Keilkissen unter, steht auf, trägt ihren Arm

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