Da gewöhnze dich dran
aus dem Beifahrerfenster, mit den Händen im Schoß. Weiß er eigentlich, dass es Björn nicht mehr gibt?
«Jo», sagt er lediglich. Und: «Wenn sie Glück hat, ist nur was verstaucht.»
Er bemüht sich nicht, das Gespräch weiterzuverfolgen, also erwidere ich nichts. Thorsten nimmt einen brüchigen Schwamm aus der Mittelkonsole und wischt die Windschutzscheibe frei. Das Licht der Ampeln bricht sich jetzt in den Schlieren. Ich schalte die Lüftung runter.
Vor Thorstens Wohnung halte ich in der zweiten Reihe. Er wohnt an einem baumbestandenen Platz in einem Kneipenviertel, Altbau, stuckverzierte Fassade, an einer Laterne vor dem Haus sind Fahrräder angebunden.
«Dann noch einen schönen Abend», sage ich.
Doch er greift nicht zum Türhebel.
«Nessy», sagt er. «Ich …»
Er sieht mich an, sieht aus der Seitenscheibe, sieht auf die Hände in seinem Schoß.
«Wenn ich etwas Falsches getan habe …», versucht er es erneut, macht eine Pause und sagt: «Es tut mir leid. Katrin hatte mir damals erzählt, dass du Probleme mit deinem Freund hast. Ich wollte die Situation nicht ausnutzen.»
Ich schlucke und spanne mich an. Meine Beine beginnen zu zittern.
«Schon gut», sage ich, ohne ihn anzusehen, denn es ist nicht gut, nicht so, wie es jetzt ist. Wir müssen darüber reden, über den Kuss und vielleicht auch über mehr; über das, was wir voneinander erwarten – falls wir etwas erwarten. Aber selbst wenn wir nichts erwarten – dann müssen wir uns sagen, dass wir nichts erwarten. Überhaupt: Es geht nur ums Sagen, ums Irgendwassagen, es geht nur darum, unsere drei Minuten Innigkeit mit ein paar Worten vom Tisch zu wischen, ein für alle Mal, sie danach vom Boden aufzuklauben und zum Altpapier zu bringen. Damit wir weitermachen können, damit es im Büro weniger anstrengend ist. Mit dem Rest muss jeder von uns selbst fertig werden – wenn es einen Rest gibt.
Thorsten wartet, dass ich weiterrede. Mir schießen plötzlich Tränen in die Augen, Tränen von der schlimmsten Sorte, bei denen man nicht weiß, warum sie überhaupt da sind. Verdammt, das ist alles so absurd, so kompliziert, so – ach, ich weiß auch nicht. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich weiß nicht, warum ich heule. Ich bin aufgekratzt. Ich möchte nicht, dass er mich weinen sieht. Ich wische mir mit der Hand über die Nase und sage: «Mit meinem Freund ist übrigens Schluss.»
Jetzt sehe ich ihn an. Jetzt sieht er mich an. Seine Augen blicken weich und warm.
Ich wische mir Tränen aus den Augenwinkeln. Er hebt seine Hand, als wolle er meine greifen, aber dann lässt er sie wieder auf seinen Oberschenkel hinabsinken.
«Ich wollte dich nicht …», sagt er, ohne den Satz zu vollenden, «es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe. Ich wollte nicht … also, ich wollte nichts tun, was du nicht wolltest.»
«Nein», sage ich wieder. Es passt nicht hierhin, aber es ist besser als nichts. Ich möchte ihm widersprechen, aber ich finde keine Worte. Ich stelle den Motor des Wagens ab, mache den Sicherheitsgurt los und suche in meiner Hosentasche nach einem Taschentuch.
«Ich weiß gar nicht, warum ich jetzt heule», sage ich. «Es ist …»
Ja, was ist es? Dass ich in diesem Moment, in dem wir uns gegenübersitzen, hier, in diesem kleinen Käfig, an diesem Ort, an dem wir uns nicht entkommen können, vor seiner Wohnungstür, ohne die Möglichkeit, in unsere Büros zu verschwinden – dass ich mich nackt fühle, ausgeliefert? Nein, das ist es nicht.
Umzug, neuer Job, Handball, Bunke, Björn. Schnecke, die vorbeikommt, um mir Rheumapflaster auf den Steiß zu kleben. Schmidtchen, mit dem ich Pferde stehlen könnte, wenn ich ihm in den Sattel hülfe. Diese ganzen kauzigen Menschen in dieser grotesk großartigen Gegend. Es ist so viel passiert in den vergangenen Monaten, ich hatte nicht einmal Zeit, innezuhalten und Luft zu holen. Und ja, Thorsten. Verdammt. Thorsten.
«Ich …», fängt Thorsten an, doch dann spricht er nicht weiter. Wieder hebt er die Hand, als wolle er mich berühren. Wieder lässt er sie sinken.
«Ich würde dich jetzt gerne umarmen», sagt er schließlich.
Ich beuge mich ihm wortlos entgegen, und er hebt die Arme. Ungelenk umarmt er mich, mit der Gangschaltung in unserer Mitte. Eine Weile verharren wir so, er riecht ein bisschen nach Aftershave, nach Weichspüler und nach Eichhörnchen.
Dann löse ich mich wieder, lasse mich zurück in meinen Sitz sinken.
«Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist», sage ich und hole
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